SWR1 Begegnungen

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Die Modedesignerin Anja Gockel gilt als Ausnahmeerscheinung in der Modebranche. Seit 12 Jahren hat sie ihr eigenes Label und in ihrem Atelier in Mainz kreiert sie Mode unter anderem auch für das schwedische Königshaus, für Germanys next Topmodel und für Frauen wie mich. Wahre Schönheit kommt eigentlich von innen. Ist Mode nicht etwas Flüchtiges, Oberflächliches, habe ich sie gefragt.

Ich möchte einfach den Frauen noch mehr Mut dazu geben zu sich zu stehen und das auch durch ihre Kleidung auszudrücken, wofür sie stehen. Und nicht bei der roten Bluse anzufangen kann ich die tragen oder kann ich die nicht tragen. Ich finde in dem Moment, wo ich daran zweifle ob ich etwas möchte, was ich liebe, so lange bin ich noch nicht frei. Und diese Freiheit, ich glaube die würde unserer Gesellschaft unglaublich gut tun, weil es keine Freiheit über die Grenzen ist sondern eine Freiheit innerhalb der Grenzen.

Mode hat etwas mit Freiheit zu tun, habe ich gelernt, auch mit der Freiheit eines Christenmenschen.

Teil 1
Ein roter Kronleuchter und rote Sessel an der Wand, in der Mitte ein riesengroßer Tisch mit Stoffproben, Schnittmustern, Entwürfen, und rings herum Ständer mit Hosen, Blusen, Jacken. Designerstücke in Samt und Tüll und Baumwolle, bunt und dezent. Ich hätte stundenlang darin stöbern und schwelgen können. Aber die Mittagspause der 20 Mitarbeiterinnen ist zu Ende. Anja Gockel kommt mir entgegen, die dunklen Haare wuschelig nach oben gesteckt, Unter ihrem dunkelbraunen Wickelkleid aus Jersey noch ein bisschen Mutterspeck von der letzten Schwangerschaft vor einem Jahr. Sympathisch, denke ich. So gar nicht der Stil eines langbeinigen Hungerhakens, das allseits propagierte Schönheitsideal der Modelwelt.

Sie sagen Mode verbindet man mit schönen Menschen. Meine Mitarbeiter ist ein tolles Beispiel dafür. Ich glaube nicht dass sie alle den Standpunkt einer Germany’s next Topmodel standhalten würden, aber ich empfinde sie als wunderschön, jeden der die mitarbeitet. Deshalb wunderschön, weil jeder so eigen ist.

Schönheit- das ist für Anja Gockel: ein eigener Mensch sein. Und so wirklich sie auch mit ihrer quirligen Freundlichkeit. Also nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und frage sie, wie sie das so findet, was ich anhabe und wozu sie mir raten würde.

Sie haben eine Jacke gewählt, die genau Ihrer Augenfarbe entspricht und ein Kleid gewählt, was Ihrer Haarfarbe entspricht, also vom Farbempfinden find ich’s total harmonisch, was Sie anhaben. Und denke nur, Sie können noch weiblicher aussehen, wenn Sie den Mut dazu haben.

Weiblich und attraktiv aussehen, welche Frau will das nicht. Aber es auch zeigen? Da bin ich mir unsicher. Sollte man nicht zeigen, dass einem die inneren Werte wichtig sind? Und übers Äußere einen Schlabberlook überwerfen?

Die Kleidung von außen, die so ein bisschen Schlabberlook ist, die bedeutet gleich: ich bin tiefgründig, bin menschlich freundlich, ich versuche das Gute im Leben, sag ich jetzt mal. Und da behaupte ich einfach: ja, mag sein, aber selbst wenn du eine knallrote Bluse anhast, die du mal eng wickelst, sodass man auch dein Dekollete sieht, bist du immer noch tiefgründig, edel aber zusätzlich auch noch aufregend als Frau. Und ich finde diese zwei Sachen, die widersprechen sich nicht.

Kleidung, so lerne ich, ist so was wie eine zweite Haut. Aus der ersten Haut kann man nicht raus, auch wenn man sich darin nicht wohl fühlt. Mit der zweiten Haut aber kann man spielen. Die kann man wechseln und ausprobieren, wer man ist. Dass man innerlich gar nicht grau ist, sondern voller Phantasie und Lebendigkeit- eigentlich.
Wenn man das nach außen zeigt und es irgendwie versucht auszudrücken, hat das Wirkung auf das Innere. Und manchmal wird dadurch ein innerer Prozess angestoßen.

Ich fühl mich berufen durch meinen Beruf des Modedesigners etwas auszudrücken. Und dieser Ausdruck beschränkt sich nicht nur auf Kleidung, weil Kleidung ist mir nicht so wichtig wie der Ausdruck, der dahinter steht. Ich möchte einfach den Frauen Mut machen zu sich zu stehen und das auch durch ihre Kleidung auszudrücken, wofür sie stehen.

Teil 2
Anja Gockel entspricht so gar nicht dem Bild, das viele von Vertretern der Modebranche haben: langbeinige Hungerhaken auf dem Laufsteg, verquälte, bis zur Maskenhaftigkeit durchgestylte Typen. Mode, sagt sie, soll keine Komplexe machen, sondern aus Komplexen heraushelfen. Sie selber hat sich früher immer zu dick gefühlt, ist jahrelang nur in schwarz herumgelaufen.

Als ich meinen Beruf angefangen hab, hatte ich extreme Komplexe. Die kommen aus zwei Gründen: ich hatte große Brüder, mir wurde immer gesagt, dass ich klein und dumm bin, von daher war mein Bestreben immer zu zeigen, dass dich doch nicht klein und dumm sondern groß und hübsch bin. Und das hat dann enorme Kraft erzeugt, die ich auch gebraucht habe um hier zu sein wo ich bin. Nur Komplexe machen halt nicht glücklich.

Diese Komplexe hat sie erst verloren, als sie ihren Mann kennen lernte. Erst als sie sich geliebt fühlte wie sie war, hat sie zu ihrer eigentlichen Schaffenskraft gefunden. Und zu ihrem wirklichen Stil. Mode soll Menschen schön und das heißt: frei machen. Frei dazu, sich annehmen zu können, wie man ist.

Und diese Freiheit, ich glaube die würde unserer Gesellschaft unglaublich gut tun, weil es keine Freiheit über die Grenzen ist sondern eine Freiheit innerhalb der Grenzen. Und diese Freiheit zu nutzen, etwas zu leben, ich glaube, dann verlieren wir unseren Neid, dann verlieren wir unsere Missmutigkeit und dann haben wir auch die Energie, neue Wege zu gehen.

Zu dieser Freiheit, von der Anja Gockel spricht, muss man erst befreit werden. Das wusste schon Martin Luther. Erst kommt die liebevolle Zuwendung, dann die Freiheit. Und genau hier brennt ihr Herz. Sie will, dass Frauen sich und anderen so zuwenden, dass sie einander zur Freiheit verhelfen. Dass sie ihre eigene innere Schönheit entdecken und sie sozusagen als zweite Haut zu Markte tragen.
Während wir uns unterhalten, arbeitet die 20- köpfige Crew ihres Unternehmens an der nächsten Kollektion: am Schnittbogen, an der Nähmaschine, am Computer. Ein entspanntes, wertschätzendes Miteinander. Wo sie diese inner Haltung her hat?

Ich liebe ganz besonders die Geschichten mit Jesus und um Jesus herum, sie waren für mich in der Kindheit eine ganz wichtige Stütze. Ich hatte eine Kinderbibel, die hab ich geliebt, das war mein Märchenbuch wie meine Stütze fürs Leben. Und die lese ich jetzt meinem Sohn Max auch wieder vor. Ich find die Geschichte ist das Wichtige und bitte nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, weil: das ist nicht Jesus! Wir müssen die Schönheit ich glaube die Jesus uns beibringen wollte, mit anderen Menschen umzugehen, die müssen wir leben und erleben.

Ich muss an einen Satz des Apostels Paulus denken: „So ziehet nun an als die Auserwählten Gottes herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit (Kol.3,12). Seit meinem Besuch bei Anja Gockel frage ich mich: Welche Farbe hat Erbarmen und Freundlichkeit? Welcher Schnitt drückt etwas aus von Demut, Sanftmut und Geduld?
Vielleicht wollen Sie das auch mal ausprobieren. Wenn Sie in der Nähe von Mainz wohnen- morgen hat das Atelier von Anja Gockel in Mainz einen Tag der öffenen Tür. Wenn Sie am Bodensee wohnen- öffnen Sie doch mal ihren Kleiderschrank mit dieser Frage. Wenn Sie wieder das Gefühl haben: Ich hab mal wieder nichts zum Anziehen! https://www.kirche-im-swr.de/?m=3842
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