SWR4 Abendgedanken BW

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Sie springen von Hochhäusern, von hohen Felswänden in den Alpen oder vom Arm der Christusstatue in Rio de Janeiro. Freier Fall fast bis zum Schluss. Fast. Erst in den letzten Sekunden wird die Reißleine des Fallschirms gezogen. Diese Sportart heißt „Basejumping“. Ich habe neulich einen Bericht darüber im Fernsehen gesehen. Und es hat mich irgendwie fasziniert. Allein schon die Filmaufnahmen dazu reichen, daß es in der Magengegend kribbelt.
Aber es macht mich auch nachdenklich, worauf wir Menschen immer wieder kommen, um unsere Grenzen zu spüren. Und wohin wir diese Ideen steigern.
Basejumping ist ja nicht die erste Risikosportart: Manche fahren in Schlauchbooten Wasserfälle und gefährliche Gebirgsbäche hinunter, andere springen an einem Gummiseil kopfüber in die Tiefe.
Vielleicht geht’s dabei ja auch um Mutproben. Aber sicher nicht nur das. Denn die Interviews in dem Bericht über die Basejumper zeigen Menschen, die gar nicht mehr damit aufhören können oder wollen. Es scheint für sie wie eine Sucht zu sein, vielleicht, weil der Kick, der Adrenalinschub im Körper wie eine Droge wirkt.
Sie gehen bis an die äußerste Gefahrengrenze und reizen sie immer weiter aus: Noch näher an der Todesgefahr oder sogar näher am Tod. Aber vielleicht muss man ja umgekehrt denken.
Vielleicht wollen sie näher am Leben sein: Spüren, dass sie leben, wissen, dass, sie leben. Es ist schon seltsam, dass manche Menschen scheinbar solche Grenzerfahrungen brauchen, um das Wesentliche zu spüren. Und Menschen, die ein sogenanntes Nahtoderlebnis gehabt haben oder manche Heilige beschreiben Ähnliches.
Sicher: Spüren, dass ich lebe, das will ich ja auch. Und nicht einen gleichförmigen, langweiligen Tag an den anderen reihen und das ganze „Alltag“ nennen.
Sondern an Grenzen kommen und an diesen Grenzen spüren, daß es auch noch jenseits meines Horizonts etwas gibt. Das mein Leben schöner, freier und intensiver macht..
Ich frage mich nur, ob ich damit auch an die äußerste Grenze gehen muß, oder ob es für mich nicht auch eine Alternative gibt. Mitten im Alltagsleben drin. Spüren, dass ich lebe, könnte ich doch zum Beispiel auch dann, wenn ich eine Pause habe und mitten im Geschäft einfach mal durchschnaufe, nichts tun muß, das Telefon überhören darf und den Augenblick genieße, als ob ich die Zeit anhalten könnte. Das gibt zwar keinen Kick. Aber ich überschreite meine Grenzen in einem anderen Sinn - ohne mein Leben zu riskieren. Die französische Mystikerin Madeleine Delbrel hat diese kleinen Alltagsmomente festgehalten Für sie sind solche Augenblicke nicht nur Momente des Lebens, sondern sogar Momente des Gebets. Sie sagt: „Welche Freude, zu wissen, dass wir unsere Augen zu Deinem Angesicht erheben können ganz allein, während die Suppe aufkocht, während wir beim Telefon auf den Anschluß warten, während wir an der Haltestelle nach dem Bus Ausschau halten...“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3406
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