Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Versager, Verräter. Schlampe.“ Oft reicht ein Wort und ein Mensch ist bei den anderen total unten durch. Soll es ja geben, in Schulklassen, Lehrerkollegien, in Großraumbüros, in Familien. Dabei weiß jeder. Man kann einem Menschen mit einem einzigen Wort nicht gerecht werden. Mobben kann man jemand damit, an den Pranger stellen, ins Unglück treiben. Das geht, mit einem Wort.
Wie gut, sieht man an Judas. Seit 2000 Jahren heißt der Mann „Verräter“. Wie ein Nachname hängt das an ihm: Judas hat Jesus verraten. Schluss fertig aus. Dass so einer ins Abseits gerät und sich den Strick nimmt.. Selber schuld.
Aber ich glaube nicht, dass man einem Menschen mit einem Wort gerecht wird. Muss man nicht wenigstens fragen: Wie kam es? Oder noch wichtiger, kann man so was wie damals vermeiden, wenn man einen Menschen um sich hat, der so ähnlich gestrickt ist wie Judas?
Ich glaube; Judas ist eigentlich einer gewesen, der sich verkämpft hat. Von Haus aus ein ganz ernsthafter/gewissenhafter ??. Einer der sich voll und ganz einsetzt. Für die Menschen, für das eine Ziel, für das Reich Gottes. Aber diese Kämpfer haben oft das Problem, dass sie sich ver-kämpfen. Sich in die gute Sache verrennen. Sie denken, der gute Zweck heiligt jedes Mittel. Vielleicht war Judas so ein Mensch. Er wollte Jesus zum Letzten herausfordern. Vielleicht sogar Gott, damit der vom Himmel her eingreift, wenn sein Sohn von der Tempelclique und den Römern bedroht wird. Und so ist dieser Verkämpfer Judas hingegangen und wollte Jesu Verhaftung durch die Behörden beschleunigen. Deshalb verrät er ihn. Als er sieht, wie sein Plan total schief geht, da begreift er, was er getan hat.
Und wieder schlägt seine Ernsthaftigkeit zu. Diesmal richtet sie sich gegen ihn selber. Er kann sich selbst nicht mehr aushalten. Damit kann er nicht leben, dass er an Jesus zum „Verräter“ geworden ist. Er mobbt sich quasi selbst raus. Kann sich selbst nur noch dieses eine Wort anhängen: „Verräter!“
Ich frage mich immer. Ist Judas in den Augen Jesu auch bloß der Verräter? Oder hat der mehr Worte für ihn übrig? Worte, mit denen man Menschen wie Judas besser gerecht wird und sie nicht ins Unglück treibt? Ich glaube und hoffe: Dass für Jesus Judas ein Bruder ist, der sich verrannt hat, aber zu ihm gehört. Genau wie die ganz Ernsthaften heute auch zu uns gehören.
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