SWR1 Begegnungen

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18OKT2020
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Alexander Jorde ©Annette Hauschild, Ostkreuz

Christopher Hoffmann trifft den Gesundheits- und Krankenpfleger Alexander Jorde 

… und mit Alexander Jorde, dem vielleicht bekanntesten Gesundheits- und Krankenpfleger Deutschlands. Denn 2017 konfrontierte er in der ARD-Wahlarena Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Thema Pflegenotstand und brachte es in die öffentliche Debatte. Wir unterhalten uns, bevor er zu seiner Nachtschicht auf einer internistischen Intensivstation aufbricht. Der 24-Jährige aus Hildesheim hat ein gutes Abi gemacht und sich dann für die Ausbildung in der Pflege entschieden. Viele Freunde konnten das nicht nachvollziehen – doch Alexander Jorde merkt schnell: der Beruf ist anspruchsvoll. Er findet: Die Gesellschaft hat ein falsches Bild vom Pflegeberuf und zu viele Menschen äußern sich noch immer abwertend.

Sowas wie: „Pflegen kann jeder“ oder „Wir haben ja viele Arbeitslose im Moment“.  Dass dann sofort gesagt wird: „Die Person kann ja einfach in die Pflege gehen“ – das ist dann immer eine nicht vorhandene Wertschätzung uns gegenüber.

Alexander Jorde erlebt täglich, wie komplex der Beruf ist, weil medizinisches Wissen, aber auch Empathie und Fingerspitzengefühl gefordert sind. Beispielswiese dann, wenn es um  Körperpflege geht – und der Patient ganz viel Vertrauen aufbringen muss, dass Alexander Jorde auf keinen Fall enttäuschen will. Deshalb versucht er sich in den Patienten hineinzuversetzen:

Sich zu überlegen:  Ich wach jetzt morgen auf und ich kann nicht aufstehen. Und ich muss zur Toilette und ich bin darauf angewiesen, dass dort jemand kommt und mir hilft. Oder es ist vielleicht schon zu spät und es ist was danebengegangen, und dann bin ich darauf angewiesen, dass dort jemand ist und mir hilft. Man muss sich immer bewusst sein: das ist ein Mensch mit Empfindungen, das ist jetzt nicht nur ein Körper, den wir gesund machen wollen, sondern da steckt ein Mensch drin – mit einer Psyche, mit eigenen Gedanken und Problemen. Das sollte man nie vergessen. Das ist natürlich eine Riesenverantwortung.

Doch genau diese Verantwortung wird zur Last, wenn ein Pfleger viel zu viele Menschen gleichzeitig betreuen muss. Alexander Jorde macht das wütend. Und aus seiner Wut wird Mut. In der Wahlarena 2017 sagte er zur Bundeskanzlerin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. […] Jetzt habe ich es in einem Jahr […] im Krankenhaus und in den Altenheimen erlebt, dass diese Würde tagtäglich in Deutschland tausendfach verletzt wird.[…]Die Pflege ist so überlastet.“ Alexander Jorde stellt deshalb die Systemfrage, denn viel zu oft zählt nicht der  einzelne Mensch, sondern der Kostendruck unter dem Krankenhäuser generell stehen, von denen einige auch noch von Konzernen betrieben werden, deren Ziel es ist…  

…Geld zu gewinnen oder Rendite auszuschütten an deren Aktieninhaber. Das ist nicht das, wofür Kliniken da sein sollten! Man muss das System so gestalten, dass man keine privaten Gewinne, keine Rendite mehr erzielen kann.

Und dass die Pflege nicht wegrationalisiert, sondern wieder gestärkt wird.  Ich spreche mit Alexander Jorde. Der 24-jährige Krankenpfleger ist seit der ARD- Wahlarena 2017 immer wieder zum Thema Pflegenotstand in den Medien: schlagfertig, politisch und mit dem festen Willen die Situation für Pflegende und Patienten zu verbessern. Aber wie?  Alexander Jorde findet: Die gesamte Gesellschaft ist hier gefordert -  Pflege geht alle an:

Es gibt 82 Millionen potentielle Patienten in Deutschland und ich habe nicht ansatzweise einen großen Teil dieser Patienten mal auf der Straße gesehen für bessere Pflege. Und da würde ich mir manchmal auch einen Schulterschluss wünschen, dass auch mehr Menschen, die eben alle potentielle Patienten sind - da kann sich ja niemand ausnehmen -, dann auch mal mehr auf unsere Seite stellen und sagen: Eine Pflegekraft hat aber genauso  das Recht auch mal eine halbe Stunde Pause zu machen in einem Dienst und sich mal in Ruhe hinzusetzen oder mal einen Schluck zu trinken oder was zu essen und muss eben nicht immer jederzeit erreichbar und jederzeit einsetzbar sein. Dass man den Mensch auch in der Pflegekraft sieht.  

Wenn Alexander Jorde spricht, muss ich an das christliche Menschenbild denken. Denn eine Pflegekraft ist - Gott sei Dank -kein Roboter  und muss deshalb auch geschützt werden, damit sie nicht in der Ökonomisierung des Gesundheitssystems zerrieben wird. In seinem Buch „Kranke Pflege“ schreibt Alexander Jorde: „Die meisten Menschen wünschen sich eine Hand, die Wärme und Nächstenliebe spendet. Selbst für diese wichtige Aufgabe bleibt nicht selten zu wenig Zeit“* Damit diese wie ich finde urchristliche Aufgabe  –  möglich ist, dafür wünscht sich Alexander Jorde mehr Unterstützung, auch von den Kirchen. Der Pflegersieht in seinem Berufsalltag täglich: Leben ist verletzlich. Er glaubt, dass das eine ganz wichtige Erkenntnis ist. Deshalb findet er zum Beispiel einen „Gesellschaftsdienst“ im sozialen Bereich eine gute Idee, auch wenn er weiß, dass das umstritten ist:

Viele gerade jüngere Menschen argumentieren immer: „ Da wird uns was von unserer Zeit geklaut“. Ich finde aber, dass es für mich eher ein Teil der Bildung wäre. Also ich war  auf einem Gymnasium. Da geht es halt viel darum sich Wissen anzueignen, das in Klausuren und Arbeiten wiederzugeben und da geht es wenig um soziale Kompetenz.

Die wird aber immer wichtiger, wenn Medien wie Instagram oder auch die Werbung ein vermeintlich perfektes Leben vorgaukeln, wo -von Filtern geschönt - nur  Traumurlaube und Traumkörper präsentiert werden:

Und das führt dann natürlich auch dazu, dass man die kleinsten Makel an sich selber für extrem hält und denkt: „Oh Gott, jetzt hab ich ein paar Pickel. Jetzt finden mich bestimmt alle total hässlich und ich passe  gar nicht in diese Gesellschaft.“ Und wenn man dann mal so einen Kontakt in so einem Bereich bekommt  wie beispielsweise in der Pflege oder in Behinderteneinrichtungen, dann sieht man eben, was noch alles Leben ist: Dass es Menschen gibt, die nun mal inkontinent sind, die auf jegliche Unterstützung angewiesen sind und dass dann vielleicht so ein kleiner Pickel im Gesicht jetzt nicht der Weltuntergang ist.

Und Alexander Jorde glaubt, dass aus so einer konkreten Begegnung konkrete  gesellschaftliche Solidarität wachsen kann. Und die braucht es in diesen Zeiten umso mehr.

 

*Jorde, Alexander: Kranke Pflege, Tropen-Verlag, Stuttgart 2019, S. 45.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31895
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