SWR4 Abendgedanken

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30SEP2020
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Meine Frau und ich haben mehrere Geheimsprachen. Nach dem Essen fällt zum Beispiel der Satz:

Filiae glaciem nunc obtinent?Das ist lateinisch und bedeutet: Bekommen die Töchter jetzt ein Eis?

Manchmal nehmen wir auch ein wildes Gemisch aus Englisch, Italienisch und Französisch. Wir machen das, wenn wir was besprechen, das unsere Töchter nicht gleich verstehen sollen. Der Nebeneffekt: Unsere große Tochter weiß inzwischen, was „Eis“, „Süßigkeiten“ und „länger aufbleiben“ in zig verschiedenen Sprachen bedeutet. Und wir Eltern denken darüber nach, ein paar Brocken Russisch oder Polnisch zu lernen.

Eine Sprache zu verstehen, öffnet Welten. Wenn man sich sprachlich nicht verständigen kann, wird es kompliziert. Mit Händen und Füßen geht eine Menge. Aber es ist schwierig, ohne gemeinsame Sprache ein Missverständnis aufzuklären oder einen Streit zu schlichten.

Sprache verbindet. Und damit Menschen sich besser verstehen, gibt es Übersetzerinnen und Übersetzer. Ihre Arbeit ist sehr wertvoll. Sie sorgen dafür, dass die Teilnehmenden auf internationalen Konferenzen miteinander diskutieren können. Sie übersetzen die Ergebnisse von Wissenschaftlerinnen, damit man auch anderswo damit arbeiten kann. Und wenn ich abends eine türkische Serie anschaue, wäre ich ohne Übersetzung ziemlich aufgeschmissen.

Das alles passiert meistens im Hintergrund und deshalb merke ich davon nicht viel. Aber damit man diese große Leistung besser wahrnimmt, gibt es heute, den Internationalen Übersetzertag. Das Datum ist kein Zufall, denn am 30. September ist auch der Todestag des Heiligen Hieronymus. Er ist der Schutzpatron der Übersetzerinnen und Übersetzer. Er hat im fünften Jahrhundert nach Christus gelebt und hatte sprachlich einiges drauf. Denn er war einer der wenigen Leute, die damals Latein, Griechisch und Hebräisch konnten. Und so hat er die Bibel neu ins Lateinische übersetzt. Denn die Übersetzungen, die es bis dahin gegeben hat, waren voller Fehler. Sein Werk wurde viele hundert Jahre lang genutzt. Sogar die Gutenberg Bibel, die erst 1000 Jahre nach seinem Tod gedruckt wurde, basierte noch auf dem Text von Hieronymus.

Ich habe bis vor kurzem nicht gewusst, dass es diesen Übersetzertag überhaupt gibt. Aber ich find’s gut und ich bin sicher, dass ich in Zukunft besser darauf achte, was andere Menschen mit ihren Sprachkenntnissen leisten: zum Beispiel wenn ich in den Nachrichten eine Debatte im Europaparlament sehe oder in einem gut übersetzten Roman schmökere.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31726
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