SWR4 Abendgedanken

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15SEP2020
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Ich hätte gerne meinen Sommer zurück. Damit meine ich nicht die Urlaubstage am Sandstrand oder die Bergwanderungen in der frischen Höhenluft, die mir fehlen. Nein. In diesem Corona-Sommer habe ich etwas anderes verloren. Mir ist ein Gefühl abhandengekommen. Immer, wenn die Ferienzeit angebrochen ist, dann ist so eine Sommerleichtigkeit zurückgekehrt. Das Gefühl, für ein paar Wochen frei zu sein, ohne strengen Tagesablauf. Frei zu sein, und einfach irgendwohin losfahren zu können. Diesmal habe ich vergeblich auf die gewohnte Leichtigkeit gewartet.

Stattdessen: Unruhe, Unsicherheit, Sorge. Und gleichzeitig das Bedürfnis, einfach am liebsten nur zuhause zu sein. Das kenne ich überhaupt nicht von mir. Und meine Kinder habe ich mit viel Gottvertrauen ziehen lassen, in Ferienlager und Fußball Camps. Irgendwie hat sich am Ende immer alles gefügt und funktioniert. Und diesen Sommer: Da grüble ich und schlafe ich nicht ein, weil die Kinder ein paar Tage alleine weg sind.

Woher kommen diese Unruhe und Unsicherheit? Ich denke, da gibt es zwei Gründe: Corona hat feste Strukturen in unserem Leben aufgebrochen. Nicht nur für wenige Wochen, sondern dauerhaft. Da ist Halt und Orientierung verloren gegangen. Der Anfang des Sommers ist untergegangen, weil das Schuljahr sich schon seit Mai davongeschlichen hat; die Arbeit im homeoffice ist ständig in Sichtweite gewesen. Und das zweite: Ich spüre plötzlich wie verletzlich ich bin, dass mein Leben endlich ist. Vielleicht auch deshalb, weil ich einige Corona-Erkrankungen im Bekanntenkreis erlebt habe. Gewusst habe ich das natürlich, aber diese Verwundbarkeit war für mich bislang wenig greifbar. Jetzt ist es anders. Ich nehme viel deutlicher wahr, was mich berührt und was mir wichtig ist.

Ich habe gemerkt, dass es nicht hilft, auf die Rückkehr der Sommerleichtigkeit zu warten. Es bewirkt nichts, wenn ich mir sage: Das wird schon alles gut und nächsten Sommer fahren wir wieder ans Meer. Die Umstände und Sorgen dieses Sommers lassen sich nicht einfach weg-hoffen oder aussitzen. Ich muss sie anpacken. Und zwar mit Für-Sorge. Die zweite Bedeutung des Wortes Sorge zeigt mir die Richtung: Ich will mich um mir Wichtiges kümmern, mich um jemandes Wohlergehen sorgen. Und das hat mir ganz neue Perspektiven eröffnet: Ich schätze und genieße die gemeinsame Zeit mit den Kindern viel intensiver, wir probieren zusammen Neues aus, kochen und backen gemeinsam, reden und diskutieren. Ich gehe jeden Morgen vor dem Frühstück vor die Türe und atme ein paar Minuten ganz tief die kühle Morgenluft ein. Die Stille zu Beginn des Tages nehme ich ganz bewusst wahr. Dafür hatte ich mir bisher nie Zeit genommen.

Nun ist das Ende des Sommers in Sicht. Die verlorene Leichtigkeit wünsche ich mir nicht mehr zurück. Denn ich habe ein neues Gefühl gewonnen: Eine große Dankbarkeit. Dafür, dass es so ist wie es ist.

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