SWR1 Begegnungen

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02AUG2020
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Alea Horst

Annette Bassler trifft Alea Horst, Fotografin

Sich anrühren lassen

Wir treffen uns in ihrem Haus im Taunus. Vom Esstisch schaut man auf eine Blühwiese mit Hochbeeten und scharrenden Hühnern. Ringsum Wald. Natur und Stille. Hier kann ihre Seele heil werden. Nach ihren Reisen in die Flüchtlingslager dieser Welt. Ihre erste Reise ging nach Moria auf Lesbos. Dort ist ihr am Strand ein junger Mann quasi entgegengefallen. Der war aus Syrien übers Meer gekommen.

War alleine unterwegs und schrie, er wolle ein Handy haben, er wolle ein Handy haben und ich hatte im ersten Moment ein bisschen Misstrauen. Der will ein Handy, wenn ich dem das gebe, läuft der vielleicht damit weg. Und dann hab ich ihm das Handy gegeben. Und dann hat er zu Hause seine Mutter angerufen und er sagte was auf Arabisch und die Mutter jubelte im Hintergrund. Jubelte „lalalalalala“ und er lachte und beide lachten und weinten. Dann legt er einfach auf, gibt mir das Handy und rennt zum Bus, wo die Flüchtlinge dann abtransportiert wurden ins Camp.

Begegnungen wie diese haben ihr Leben von Grund auf verändert. Vorher war die 38-jährige eine preisgekrönte Hochzeitsfotografin, verheiratet, zwei fast erwachsene Kinder, schönes Haus. Aber als vor 5 Jahren die vielen Geflüchteten bei uns angekommen sind, da ist ihr Gewissen Sturm gelaufen.

Und ich hab mich gefragt: wie möchte ich auf mein Leben zurückschauen, wenn ich alt bin? Ich möchte nicht auf mein Leben zurückschauen und sagen: warum hab ich nur lethargisch auf der Couch gesessen und gesagt: wie schlimm ist das, wie schlimm ist das! Und ich hab aber nur meinen Hintern nicht hochbekommen.

Seitdem reist sie um die Welt. Grade ist sie zum dritten Mal im Lager Moria auf Lesbos gewesen, wo 20 Tausend Menschen leben.

Es gibt seit vier Jahren dort keine anständige Müllabfuhr! Seit vier Jahren! Ein Großteil der Menschen lebt in aus Paletten gebauten mit Plastikfolie und kleinen Wasserflaschendeckeln improvisierten eigenen gebauten Minihütten. Es gibt keine Container, wo man sagt, das ist wenigstens wasserfest, es gibt überhaupt kein warmes Wasser, wenn man sich vorstellt mit 7000 Kindern und es gibt dort kein warmes Wasser! Das ist einfach beschämend.

Alea Horst erinnert mich an Jesus. Der hat gesagt: Was ihr den Geringsten angetan habt, das habt ihr mir getan. Ich glaube, es macht etwas mit unserer Würde, wie wir uns den Geringsten unter uns umgehen. Alea Horst begegnet den „Geringsten“ einfach als Mensch.

Ich hab das jetzt, im Laufe dieser Jahre gemerkt. Was wirklich meine Seele berührt ist Zwischenmenschlichkeit, Mitmenschlichkeit, sich die Zeit zu nehmen, miteinander zu reden. Man bekommt so viel mehr innere Zufriedenheit.

Verwandelt werden

Alea Horst zu begegnen war für mich heilsam. Obwohl oder gerade weil sie mir von den heillosen Zuständen im Flüchtlingslager Moria erzählt hat. Als Fotografin hat sie gelernt, genau hinzuschauen. Das tut sie jetzt in den Flüchtlingslagern. Was für viele von uns nur eine bedrohliche Größe ist, hat für sie je ein Gesicht und eine Würde. Und an die geht sie ganz nah ran. Mit der Kamera und mit ihrem Herzen.

Ich habe eine Mission! Ich möchte etwas verändern, ich möchte etwas verbessern. Für diese Menschen! Und da muss ich meine eigene Scham neben liegenlassen. Das hilft mir auch, in Fotos, mich frei zu machen von allen Vorurteilen von dieser Scham. Alles wird besser, wenn ich mich so weit wie möglich öffne.

Ihre Bilder ziehen mich hinein in die Welt dieser Menschen. In der dann die Unterschiede von Religion und Kultur keine Rolle mehr spielen.

Die Sehnsucht nach Harmonie, Frieden und Liebe, die verbindet uns alle.  Egal…wie die Leute aussehen, im inneren Kern sind wir alle gleich und haben die gleichen Sehnsüchte. Deswegen fühl ich mich mit diesen Menschen besonders verbunden.

Auch wenn die Flüchtlingslager der EU noch so katastrophal sind, alles ist für diese Menschen besser ein Leben in Krieg und Verfolgung, weiß Alea Horst. Europa ist für sie zwar ein Land des Friedens, aber:

In jedem Flüchtlingslager der Welt sagen die Menschen: wir wollen wieder nach Hause. Alle sagen: mein größter Traum wäre, wieder nach Hause gehen zu können.

Ich bewundere, mit welcher Energie sie aufbricht und fremde Welten aufsucht. Ich könnte das nicht, sage ich. Und sie meint: man muss das auch nicht, um zu helfen.

Man muss nicht in diese Länder fahren, man muss auch nichts Großes machen. Ich muss kein Arzt oder Rechtsanwalt sein, nein, ich kann mit meinen Händen irgendetwas machen. Und ich habe hier in Deutschland in verschiedenen Initiativen tolle Menschen gesehen. Die einen stricken irgendwas, andere reparieren irgendwelche Gegenstände und andere hören einfach nur zu. Man muss sich nur fragen:  Was kann ich geben? Und dann muss man nur einen Schritt machen. Dass man damit anfängt. Und dann bekommt man so viel zurück.

AleaHorstVielleicht ist dies das Geheimnis eines glücklichen Lebens. Offen sein, sich berühren lassen von der Not von Menschen. Und darauf vertrauen, dass man hineingenommen und getragen wird vom Geist der Liebe und der Mitmenschlichkeit.

Mein Ziel ist es, am Ende meines Lebens ein glückliches Leben zu haben, nicht unbedingt ein reiches Leben und deswegen geh ich so gern in den Dialog und ich gebe und bekomme große befriedigende Gefühl zurück, was wirklich Richtiges zu tun.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31364
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