SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

15JUL2020
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Manchmal verliert man sich gegenseitig. Das klingt etwas seltsam, ist aber vor wenigen Tagen hier in meinem Ort passiert. Schafe sind aus ihrer Weide ausgebrochen. Der Besitzer war ratlos. Wo sollte er suchen? Spaziergänger haben die kleine Herde gefunden.

Aber was macht man mit freilaufenden Schafen? Mitnehmen ist schlecht möglich, Festhalten irgendwie auch nicht. Und das Anlocken scheitert, weil die Schafe nicht auf jeden hören. Sie hören am besten auf die Stimme ihres Besitzers, der sich als Hirte um sie sorgt. Er ist derjenige, der sie erkennt, der ein Schaf vom anderen unterscheiden kann. Anhand der Größe, des Verhaltens und der Beschaffenheit des Fells. Hirte und Herde kennen sich gegenseitig.

„Ich bin der gute Hirte. Ich kenne die, die zu mir gehören, und sie kennen mich.“ (Johannes 10,11). Dieses Wort wird im Johannesevangelium Jesus zugeschrieben. Er hat das über die Menschen gesagt, die zu ihm gehören. Das ist mir eingefallen, als ich von den verlorenen Schafen gehört habe.

Ein Hirte und seine Schafe: das ist ein Bild, das mich anspricht. Ich fühle mich geborgen und auch verstanden. Geborgen, weil ich weiß, dass es da jemanden gibt, der mich kennt und zwar so wie ich bin. Mit meinen Stärken und Schwächen, mit meinen Sorgen und Nöten, mit meinem Glück und meiner Liebe. Es gibt einen, dem ich etwas wert bin, der mich suchen wird.

Aber umgekehrt weiß ich auch, auf wen ich mich einlasse. Ich kenne mein Gegenüber, seine Werte und Ideale und versuche danach zu leben. Zwischen all den vielen Stimmen, die auf mich eindringen, bin ich froh, die eine genau zu kennen und sie herauszuhören. Ich muss nicht jedem hinterherlaufen, mich nicht jedem Trend, jeder Stimmung anpassen. Meinen Hirten kenne ich.

Und falls ich mal verloren gehe, weiß ich, dass er mich suchen wird. So ähnlich war es mit den freilaufenden Schafen. Man hat ihn benachrichtig. So hat der Besitzer schließlich seine Schafe gefunden und sie haben seine Stimme erkannt. Da konnte er sie zurückführen auf ihre Weide. Gut zu wissen, wer zu wem gehört und wer sich auf wen verlassen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31244
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