SWR4 Abendgedanken

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14JUL2020
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In der Bahnhofsbuchhandlung schaue ich immer die Postkarten an. Besondere Postkarten. Solche mit tollen Sprüchen, schlauen Gedanken oder humorvollen Wortspielen. Meine Favoriten sind die Karten zum Thema „Lieblingsmensch“. Das ist nämlich ein Wort, das mir ganz gut gefällt und ein Gefühl bei mir auslöst.

Lieblingsmensch. Das ist die Person, die ich sehr gerne mag, mit der ich mich verbunden weiß. Nicht nur dann, wenn alles gut läuft, sondern gerade in schwierigen Zeiten.

In der Bibel wird von so einer wunderbaren Freundschaft, einer freundschaftliche Liebe berichtet. Da gab es den Hirtenjungen David und den Königssohn Jonathan, die in großer Freundschaft verbunden sind. Sie sind einander zu Lieblingsmenschen geworden. Und dass, obwohl diese Freundschaft unter keinem guten Stern stand. Saul, der König, der Vater Jonathans, wollte David töten lassen. Jonathan aber warnt seinen besten Freund und dann verabschieden sie sich voneinander. Es fällt ihnen schwer, denn so wird berichtet, sie hatten einander so lieb wie ihr eigenes Leben.

Eine tiefe Freundschaft. Lieblingsmenschen. Sie haben viel auf sich genommen und trotz der Trennung, trotz aller Distanz, hat die die Freundschaft gehalten. Bis Jonathan gestorben ist. Zu diesem traurigen Anlass hat David ein Lied geschrieben: „Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen als Frauenliebe ist.“

Ich verstehe gut, was David und Jonathan miteinander verbunden hat. Auch ich habe so einen Lieblingsmenschen. Eine Person, der ich vertrauen kann und die mir vertraut. Denn dies ist das Besondere an dieser biblischen Lieblingsmenschgeschichte: Dass die beiden Männer sich vertrauen, ja, sich sogar ihr Leben anvertrauen. David und Jonathan halten zueinander, stehen füreinander ein. So kann es sein bei einer Beziehung zwischen Lieblingsmenschen.

Vermutlich ist es gar nicht so selten, einen Lieblingsmenschen zu haben. Denn die Fächer mit den Lieblingsmenschkarten sind am Bahnhof oft beinahe leer. Genauso wie meine Schublade mit den Postkarten, die immer wieder geplündert wird, um eine Karte zu verschenken.

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