SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

09JUL2020
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Es ist eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel. Jesus ist unterwegs mit seinen Jüngern, mit seinen Anhängern. Das war sicherlich ein ganzer Pulk von Leuten, vielleicht so ähnlich wie wenn heute Promis unterwegs sind.

Dann wird Jesus aufgehalten von einem Mann, der in der Stadt bekannt ist: vom Synagogenvorsteher. Er spricht Jesus an. Seine Tochter liegt im Sterben. Die ganze Gruppe kommt ins Stocken. Jesus wendet sich ihm zu. Er hört ihm zu und doch spürt er gleichzeitig noch etwas anderes: jemand hat ihn an seinem Gewand berührt.

Er fragt in die Menge, wer ihn berührt habe, aber niemand bekennt sich dazu. Petrus sagt: „Meister, da sind so viele, wie willst Du herausfinden, wer Dich da berührt hat?“ Aber Jesus lässt nicht locker: „Ich fühlte, wie eine Kraft von mir ausströmte.“ Erst dann meldet sich eine Frau zu Wort und sagt: „Ich war das, ich habe dich berührt und meine jahrelange Krankheit ist geheilt.“ Sie erzählt Jesus alles, was sie bewegt und Jesus nimmt sich inmitten der ganzen Menge, inmitten der Aufregung und auch trotz der Bitte des Synagogenvorstehers die Zeit, der Frau zuzuhören.

Für mich ist das eine wunderbare Geschichte, die so deutlich macht, dass Gott jede und jeden von uns im Blick hat.

Wenn ich manchmal denke: „na ja, Gott hat wahrscheinlich anderes zu tun, als sich meiner Alltagssorgen anzunehmen“, dann erzählt mir diese Erzählung aus der Bibel, dass Gott nicht die Menge der Menschen sieht, sondern jede und jeden von uns.

Die kranke Frau, sie berührt Jesu Gewand in der Hoffnung, dass sie dadurch geheilt wird.

Die Frau wird geheilt, aber nicht durch einen Berührungszauber, ein Berührungswunder, sondern dadurch, dass Jesus ihre Berührung spürt, sich umdreht und ihr so von Angesicht zu Angesicht begegnet.

Jesus wendet sich um und Jesus blickt die Frau an. Jesus schenkt ihr von seiner Kraft – dadurch wird ihre Krankheit geheilt.

Es gibt viele Geschichten, wo Jesus sich den Kleinen, den Unbedeutenden zuwendet, ganz persönlich von Angesicht zu Angesicht. Es gibtdie Geschichte von dem verlorenen Schaf oder die Geschichte des Zöllners Zachäus, der zu klein war, um Jesus zu sehen und deshalb auf einen Baum klettert. Dort in den Ästen entdeckt Jesus ihn, spürt seine Sehnsucht ebenso wie die Sehnsucht der kranken Frau.

Und er wendet sich ihnen zu: der kranken Frau, dem verlorenen Schaf, dem unbeliebten Zöllner und - wie ich glaube – auch mir.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31239
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