SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

08JUL2020
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In den letzten Wochen habe ich wieder ein Buch hervorgeholt, dass mich seit fast 40 Jahren begleitet. Ich habe es zur Verabschiedung an meiner ersten Stelle als Gemeindereferentin geschenkt bekommen.

Es hat den schönen Titel „mach aus mir einen Regenbogen“. Dom Helder Camara hat in diesem Buch die Gedanken seiner nächtlichen Meditationen aufgeschrieben. Er war bis 1985 Erzbischof von Recife und Olinda in Brasilien und ein Streiter dafür, dass die Kirche zu den Armen gehen muss. „Theologie der Befreiung“ ist ein Wort, das viele mit Dom Helder verbinden.

Ich durfte ihn einmal in seiner Heimat im Gottesdienst erleben.

Der Werktagsgottesdienst wurde in einer kleinen Kirche gefeiert. Sehr schlicht und sehr einfach war dieser Gottesdienst. Mich hat sehr beeindruckt, dass meine Freundin und ich als offensichtlich Fremde sofort angesprochen wurden, mitzutun: ob wir die Lesung übernehmen würden? Wir haben uns leider nicht getraut, den Leuten unser schlechtes portugiesisch zuzumuten. Aber die Überraschung und Freude, in dieser Gemeinde wahrgenommen zu werden, klingen bis heute noch in mir nach.

Immer mal wieder blättere ich in diesem Buch. Obwohl ich viele der Gedanken auswendig kenne, sprechen sie mich immer wieder aufs Neue an. Einen  Gedanken möchte ich Ihnen heute mit in den Abend geben:

Dom Helder Camara schreibt: „Die Menschen belasten dich?                                                                                   Trag sie nicht auf den Schultern. Schliess sie in dein Herz.“        

Mir hilft dieser Gedanke immer wieder alle meine Sorgen um den einen oder anderen in der Familie, im Freundeskreis, in der Gemeinde loszulassen. Ich denke an die Frau, der ich heute begegnet bin. Sie hat erst vor kurzem ihrem Mann verloren und fühlt sich sehr einsam. Und ich denke an die Erzieherinnen in unseren Kindergärten, deren Arbeit aktuell sehr anstrengend ist.Ich nehme alle diese Menschen heraus aus meinem sorgenvollen Gedanken und schließe sie in mein Herz. - Mein Herz und was darin ist, das überlasse ich Gott. Mein Herz mit meinen Sorgen lege ich Gott ans Herz. Er wird sich um alle sorgen.

Helder Camara weiß auch um die Sorgen, um die Gedanken, die uns gerne abends beschäftigen und am Einschlafen hindern. Er findet ein, wie ich finde, schönes Bild dafür, wie wir damit umgehen können. Er sagt:

„Lass deine Sorgen an der Schwelle des Schlafes zurück, lasse alle Bedenken zurück, alle Bitterkeit, allen Kummer, damit du dich beim Aufwachen nicht so müde wiederfindest, als hättest du in den Kleidern geschlafen, die Schuhe an den Füßen, den Hut auf dem Kopf.“

Wenn Sie heute Abend ins Bett gehen, legen Sie bewusst den Hut, die Schuhe und ihre Kleider ab.  In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Abend!

 

Aus dem Buch: Helder Camara, Mach aus mir einen Regenbogen, mitternächtliche Meditationen, Pendo Verlag, Zürich 1981

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31238
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