Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10JUL2020
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Neulich hat es nachmittags bei uns im Garten einen großen Schlag getan. Ein Vogel war gegen eine Fensterscheibe geflogen und lag nun in unserem Sonnensegel. Völlig benommen, mit Blut im Schnabel – aber noch am Leben. Was tun?

Unsere Kinder haben dem Vogel erst mal einen Namen gegeben: Feder. Und Feder hat jetzt Hilfe gebraucht, so viel war klar. Im Internet haben wir uns notdürftig schlau gemacht. Feder wurde weich und dunkel gelagert. Und dann ging es – sicher ist sicher – gemeinsam in die Tierklinik ein paar Orte weiter. Drei aufgeregte kleine Kinder, zwei nicht minder angespannte Eltern – und ein kleines Lebewesen in unserer Obhut.

Natürlich hat sich unterwegs auch die Vernunft mal eingeschaltet bei uns Erwachsenen: Was machen wir da eigentlich? Fast 20 Kilometer einfache Strecke mit dem Auto, ein hektisches Abendessen unterwegs, aufgedrehte Kinder, die später garantiert nicht schlafen können … So viel Aufwand für einen winzigen Vogel – ist es das wert? Kostet uns die Behandlung womöglich auch noch Geld? Wahrscheinlich kommt der Vogel sowieso nicht durch. Und brauchen Katzen nicht auch was zu fressen?

Aber sollten wir das den Kindern sagen? Und überhaupt: Wenn Leben zu retten ist, dann zählen solche Fragen einfach nicht. Leben lässt sich doch nicht aufrechnen. Und man darf auch nicht entscheiden, welches Leben mehr wert ist und welches weniger.

Als Christ glaube ich, dass das Leben von Gott geschenkt ist. Und an einem Geschenk rechne ich erst recht nicht herum. Das gilt auch in anderen Bereichen: Wenn man gefährdete Menschen vor dem Corona-Virus schützen kann, dann sind eben Einschränkungen in Kauf zu nehmen – so schmerzhaft die sind. Und wenn Menschen auf dem Mittelmeer zu ertrinken drohen, dann muss man sie retten – egal, wie man über das Thema Flucht insgesamt denkt.

Leben retten – das bleibt auch dann geboten, wenn die Erfolgsaussichten unklar sind, finde ich. Auf dem Rückweg aus der Tierklinik wussten wir nicht, ob Feder es schafft. Aber wir wussten: Es war richtig, was für ihn zu tun. Und es war wichtig, dass unsere Kinder das miterleben.

Die nächsten Tage über haben wir immer wieder in der Tierklinik angerufen. Und dann sogar noch die gute Nachricht bekommen: Feder lebt und fliegt wieder frei herum.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31215
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