SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

05JUL2020
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Dieser Tage wird viel über Rassismus gesprochen. Rassismus: Menschen mit bestimmten biologischen Merkmalen sind anderen unter- oder auch überlegen. Die einen meinen, dass sie besser sind als die anderen. . Ich möchte Ihnen heute Morgen eine Geschichte erzählen, die mir wieder eingefallen ist. Sie zeigt, wie das ist.

Ich habe mit Kolleginnen beim Mittagstisch gesessen. Am Nebentisch saßen zwei Männer und eine Frau, die sich angeregt unterhalten haben. Die drei wurden zunehmend lauter. Von Wirtschaftsflüchtlingen war die Rede, die uns auf der Tasche liegen – eben die Themen, die seit 2015 viele beschäftigen. Zufällig schlurfte ein junger schwarzer Mann vorbei. So wie junge Menschen eben manchmal schlurfen. Einer der Männer zeigte auf ihn und rief: „Da ist so ein Nichtsnutz. Der kann gerade heimgehen.“

Das Essen kam. Und ich habe mit mir gerungen. Gehste hin? Sagste was? Oder isst Du einfach? Ich bin aufgestanden und an den anderen Tisch gegangen. Ich habe zu dem Mann gesagt: „Bitte hören Sie auf so zu reden, sie verderben mir mein Mittagessen mit ihren Unappetitlichkeiten.“ Der Mann hat dann ein „Jaja“ gemault. Aber immerhin ging das Gespräch leise weiter.

Wissen Sie, ich fand mich damals ziemlich cool. Aber war das genug, was ich da gemacht habe? In den Zeitungen habe ich gelesen, das viele farbige Demonstranten in den USA sagen: „Hört uns doch erst zu, bevor Ihr diskutiert.“ Das habe ich in dem Restaurant auch nicht getan. Habe ich mich richtig verhalten?

Mein Gefühl für ‚richtig‘ und ‚falsch‘ ist natürlich auch vom Christentum geprägt. Ein ganz kerniger Satz ist zum Beispiel von Paulus. „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Den Satz fand ich immer gut. Kurz und prägnant. Der bleibt im Kopf. Für so eine konkrete Situation ist er aber – bei Licht betrachtet – gar nicht so klar.

Was war jetzt das Böse? Ich kannte den Mann am Nebentisch gar nicht. Vielleicht hatte er Angst vor den kulturellen Veränderungen. Vielleicht hat er auch Angst vor der Zukunft, dass ihm nicht genug zum Leben bleibt, wenn immer mehr Menschen Hilfe brauchen. So stelle ich es mir vor. Dass der Mann gesagt hat, wie es ihm geht, ist sicher nicht böse. Dass er es menschenfeindlich formuliert hat? Schon eher. Aber dass ich mit dem Hinweis auf mein Mittagessen wirklich etwas Gutes getan habe, glaube ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich hat sich der Mann dadurch noch mehr geärgert. Vielleicht wäre es richtig gut gewesen, den jungen Mann ins Restaurant zu holen und zu fragen: „Wer bist Du?“
Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen dem, was gut gemeint ist und dem, was tatsächlich gut ist.

Paulus sagt in der Bibel: Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Das ist ein Satz mit einer großen Herausforderung. Denn: Was ist eigentlich das Gute, wenn es fast nur noch Gewalt zu geben scheint?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber die Nachrichten aus den USA und England schockieren mich. Die Ermordung des Schwarzen George Floyd durch Polizisten ebenso wie die Demonstranten in Bristol, die jetzt überall Statuen von den Sockeln stoßen. Sie haben das vielleicht mitbekommen. Aus Protest haben Menschen Statuen von Männern der Kolonialzeit umgestoßen. Wer Menschen versklavt und ihr Land ausgeplündert hat, für den sollte es kein Denkmal geben haben sie gesagt. Auch in Deutschland wird immer wieder mal diskutiert, wie mit Denkmälern von Menschen umgegangen wird, die hierzulande Stiftungen gegründet haben mit Geld aus den Kolonien. So weit ist das Thema also nicht weg.

Anscheinend gibt es nur noch Extreme: Rassisten und Antirassisten. Und dann frage ich mich: Hat das Brückenbauen ausgedient? Ich stelle mir das immer so vor, dass sich alle mal an einen Tisch setzen. Und hören sich mal wirklich zu. Jeder denkt: Vielleicht hat der andere auch recht. Und ich könnte mich irren. Ich glaube: Dass fast nur noch die Extreme zu hören sind, ist das eigentlich Üble, das wir überwinden müssen. Und das Gute, das zu tun ist, ist Brückenbauen. So dass Menschen mit unterschiedlichen Interessen, einander begegnen können. Finden Sie nicht?

Genau das hatte Paulus im Sinn, meine ich: Der hat an die Gemeinde in Rom einen Brief geschrieben. Einige der Ratschläge können wir heute noch gut gebrauchen. Tut das Gute. Ein anderer: Soweit es möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden.

Ich kann mir denken, dass jetzt einige von Ihnen sagen: Ach, der Pfarrer wieder mit seinen romantischen Träumen, das Leben ist nicht so einfach. Wissen Sie, ich denke, das stimmt. Es ist nicht so einfach. Ich möchte sie heute Morgen ermutigen, das Schwierige zu wagen. So zu leben, dass einer für den anderen da ist. Aber dafür wäre es eben nötig, mal alle an den Tisch zu holen und zuzuhören. Und dort daran zu erinnern, dass das Zusammenleben neue Brücken braucht, gerade wenn die Extreme lauter werden. Neue Brücken zu bauen: Das ist das Gute, das getan werden muss, glaube ich. Erst dann kann neu verhandelt werden, was als nächstes dran ist. So geht Frieden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31210
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