SWR2 Wort zum Tag

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29JUN2020
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Mit dem Frühling fing es an: Die Pandemie, der Lockdown, das Krisenmanagement. In diesem Frühling fing aber auch etwas anderes an: Ich habe wieder angefangen zu staunen. Über das Vogelgezwitscher, über das Blau des Himmels, über die Blumen, die blühen als sei nichts geschehen. Ich genieße die Natur wie lange nicht und höre Leises lauter als zuvor.    

In seiner Schönheit war es aber auch ein trügerischer Frühling (Steffensky). Als hätte er das Leid und den Schmerz einfach übermalt oder besser: überblüht.

Wo ist Gott in all dem? Die Frage hat mich seither oft beschäftigt. Das Schöpferlob bleibt mir manchmal im Halse stecken, wenn ich an die vielen Toten weltweit denke. Auch dass gerade die Schwächsten so schwer an den Folgen tragen müssen, es macht mich zornig und sprachlos.

Gott, wo bist du? Die Frage ließ mich auch im Urlaub nicht los. Jeden Tag war ich für ein paar Minuten in einer kleinen Kapelle. Umgeben von herrlicher Landschaft fiel mein Blick in dem lichtdurchfluteten Raum auf das Kreuz. Der Gott, mit dem ich mich verbunden fühle, ist beides: Er ist die Schöpfermacht. Aber in Jesus am Kreuz ist er auch: hilflos, verletzlich und schwach. Ich sehe ihn in einem Covid-19-kranken Menschen oder in einem Opfer missbrauchter menschlicher Macht wie George Floyd.

Manchmal ist dieses Ineinander von strahlend schöner Schöpfung und schmerzhafter Verletzlichkeit schwer auszuhalten. Wenigstens bei Gott müssten die Dinge doch eindeutig sein, denke ich dann. Aber die Spannung gehört dazu – zur Welt, und ja, ich meine: auch zu Gott.

Das steckt für mich in dem Gedanken von Gottes Dreifaltigkeit: Dass sehr verschiedenes in ihm selbst zusammengehört: Schwäche und Stärke. Tod und Leben. Aussichtslosigkeit und hoffnungsvoll blühender Neubeginn. All das gehört in Gott zusammen – und am Ende setzt sich die Hoffnung durch.

Ich gehe auch jetzt nach dem Urlaub noch viel spazieren. Das weckt meine Lebensgeister. Zur Dreifaltigkeit gehören ja nicht nur der Vater und der Sohn – sondern auch der heilige Geist. Er lässt Menschen aufleben, neuwerden, wird Kraft Gottes und Tröster genannt. Ich glaube, die Geistkraft ist vor allem eins: lebendig. Und das spüre ich in diesem Sommer wie lange nicht.

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