Anstöße sonn- und feiertags

Anstöße sonn- und feiertags

11JUN2020
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Ich war mit einem Projekt fertig – und ziemlich genervt. Eine Freundin hat sich mein Gejammer eine Weile angehört. Aber dann hat sie nachgehakt und gefragt, was gut gelaufen ist. Notgedrungen und ein bisschen widerwillig habe ich darüber nachgedacht und tatsächlich, mir ist einiges eingefallen. Je länger wir geredet haben, desto mehr. Am Schluss hat sie gesagt: „Da hat aber viel geklappt! Warum jammerst Du?“

Ob sie wohl den Meister Eckhart gekannt hat? Die beiden hätten sich ganz gut verstanden. Meister Eckhart war ein deutscher Theologe und Philosoph im Spätmittelalter. Manche nennen ihn den Meister der Gelassenheit. Er hat ein Buch über „Göttliche Tröstung“ geschrieben. Darin macht er sich viele Gedanken darüber, was Menschen helfen könnte, wenn sie beunruhigt sind, genervt oder traurig. In seinem Buch hat er ein Beispiel erzählt, in dem ich mich wiederfinde.

Wenn du 100 Mark hast und davon 40 verlierst, kannst du unterschiedlich damit umgehen. Du kannst die 40 verlorenen Mark sozusagen nachhause an deinen Tisch einladen. Dann kannst Du dich intensiv mit ihnen beschäftigen, dich mit ihnen stundenlang unterhalten, sie immerzu anschauen und sie werden dich in ihren Bann ziehen. Die lassen dich nicht mehr los. Und alles andere wirst du darüber vergessen. Wie willst du so getröstet werden, fragt Meister Eckhart? Wenn du immer nur auf das schaust, was du nicht hast?

Einen Plan B hat er auch. Lade dir die 60 Mark, die du noch hast, nachhause ein. Lass sie nicht mehr achtlos links liegen, sondern beschäftige dich mit ihnen. Nimm dir Zeit, schau sie ganz in Ruhe an. Würdige sie, freu dich an ihnen und sage „Danke, Gott“. Denk nicht immer nur an das, was du nicht hast. Mach die Augen auf für das, was du hast.

Ich finde, das ist keine ganz leichte Übung. Vielleicht hat der alte Meister darum einen überschaubaren ersten Schritt als Aufgabe notiert, für uns Anfänger. Der erste Schritt ist nicht riesengroß: ab heute immer positiv denken, oder so. Der erste Schritt ist kleiner: Ab heute schaue ich nicht immer nur auf das, was ich nicht habe. Ich fange an, auch das Gute anzuschauen. Und das mache ich immer häufiger, immer intensiver. Schritt für Schritt. Schließlich ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen…

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