SWR2 Zum Feiertag

SWR2 Zum Feiertag

01JUN2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Heike Springhart

"Zum Pfingstmontag" ein Gespräch zwischen dem evangelischen Rundfunkpfarrer Wolf-Dieter Steinmann und Privatdozentin und Pfarrerin Dr. Heike Springhart aus Pforzheim

Steinmann
Ich freue mich, dass ich heute mit Heike Springhart reden kann. Privatdozentin und Pfarrerin. Damit Sie sich nicht wundern. Wir kennen uns so lange, dass wir auch hier im Radio beim Du bleiben.
Heike, es gibt 3 Feste im Jahr, für die ein Tag im Kalender nicht reicht: Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Wenn Du eine persönliche Hierarchie der 3 Feste machen sollst, wie sieht die aus?

Springhart
Das kommt ein bisschen auch die Kriterien an. Also emotional ist es für mich auch Weihnachten. Ostern und Pfingsten in eine Hierarchie zu bringen, finde ich fast unmöglich.
Weil mir theologisch eigentlich Pfingsten am liebsten ist. Aber es ist am wenigsten emotional besetzt. Das liegt vielleicht daran, dass man es als Kind, also Pfingsten nicht feiert. Aber auch - durchaus theologisch - ist mir Ostern mit der Auferweckung aus Tod und dem Wunder nach den Wunden, ist mir das wichtig.
Aber theologisch finde ich eigentlich Pfingsten am reizvollsten. Insofern würde ich sagen: Platz 1 Weihnachten und Ostern und Pfingsten auf Platz 2. (lacht)

Steinmann
Und was sind dann für Dich als Theologin 2-3 Kerngedanken von „Pfingsten“?

Springhart
Also das eine ist, dass der Geist Gottes die Kraft ist, die die Kirche lebendig hält. Und sie aus ihren Mauern und ihrer Komfortzone rausweht und den Blick öffnet für die grenzüberschreitende Kraft Gottes. Also über die Sprach- und die Ländergrenzen hinweg. Und auch über die Grenzen in der Gesellschaft.
Die erste Pfingstpredigt aller Zeiten von Petrus, die bezieht sich ja auch auf die Verheißung, dass der Geist auf alle ausgegossen wird. Die Verheißung von Joel, dem Propheten, und die Idee, dass junge Menschen Visionen haben und alte Menschen wieder Träume. Das finde ich ne ganz wunderbare Vision. Weil sie nämlich gegen die Macht des Faktischen den lebendigen Aufbruch setzt.
Das zweite ist, dass die Welt nicht sich selbst überlassen ist, sondern dass Gott seinen Geist ausgießt, nicht nach dem Gießkannenprinzip, Aber doch wie Regen auf alle.
Und zuletzt ist der Geist Gottes nicht irgendwas, was so rumwabert, sondern der Geist Jesu, das heißt er treibt zu ganz konkretem Einsatz für Gerechtigkeit, für Verantwortung, für den Kampf gegen Rassismus und Sexismus an.

Steinmann
Diese Joelverheißung (Joel 3,1f)ist ja nun was ganz Besonderes.
Wir haben in den letzten paar Jahren immer mal wieder den Generationenkonflikt ausgerufen. „Fridays for Future“, da hieß es, die Jungen beklagen sich darüber, dass ihnen die Alten das Leben wegnehmen, und in der Coronakrise war es anfänglich umgekehrt. Und da wird zwar ein Generationenunterschied gemacht, aber es ist jedenfalls kein Generationenkonflikt.

Springhart
Beides ist in die Zukunft gerichtet. Das eint irgendwie die Perspektive. Also ich verstehe das mit den Träumen wirklich als: ‚Ich träume mir was für meine Zukunft.‘ Und die jungen Menschen, die Visionen schauen – heißt es ja in der Bibel – und da ist das Überraschende doch, dass sie nicht nur für sich individuell Visionen haben von der besseren Welt, sondern dass sie die ja auch zum Ausdruck bringen. Es gibt dann noch die, die prophetisch reden. Dh. Dass junge Menschen ihre Visionen nicht nur haben, sondern dass sie sie zu Gehör bringen. Und das Spektakuläre ist vielleicht, wenn sie gehört werden und dass es eben nicht abgetan wird, dass junge Leute eben immer sich von der Zukunft eine Vorstellung machen.

Steinmann
Und dass es bei den Alten eine Resonanz dafür gibt. Dass diese Visionen, die von den Jungen geäußert werden von den Alten tatsächlich als Traum aufgenommen werden, obwohl sie selbst davon nichts mehr haben werden.

Springhart
Also für mich ist diese Perspektive, dass die Alten Träume haben, eigentlich ein Gegen- bild wie wir jetzt im Moment über die Alten nachdenken. Wir sehen sie jetzt als Risikogruppe und auch sonst sehen wir sie unter der Perspektive des abnehmenden Lebens. Und das trifft aber die Realität des Alters überhaupt nicht. Die Potentiale zu sehen, die da drinstecken, an Kreativität. An Perspektive auf die Wirklichkeit, selbst bei Demenz, da ist diese Idee; ‚Alte haben Träume, die in die Zukunft weisen‘, hat da ihre verheißungsvolle Kraft.

Steinmann
Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Theologie eine lebensrelevante Wissenschaft ist. Oder, ein lebensrelevanter Zugang zur Welt.
Begreifen tu ich das oft erst, wenn Theologie in Form von Geschichten erzählt werden kann, die auch Lebenserfahrungen wiederspiegeln. Gibt es solche Lebenserfahrungsgeschichten vom „Geist Gottes“ , die Dir begegnet sind, in jüngster Zeit vielleicht auch ?

Springhart
Die erste, die ist nicht so ‚in jüngster Zeit‘. Aber schon die erste Anfangsgeschichte, die Pfingstgeschichte selber ist so ne Lebensgeschichte, dass aus dieser Anfangsgeschichte der christlichen Gemeinde, die in irgendwelchen Katakomben sich getroffen haben, dass daraus die weltweite Christenheit wurde. Das war ja nun eigentlich nicht zu erwarten. Aber jetzt in jüngerer Zeit:
Grundsätzlich gehört zu den Lebensgeschichten des Geistes, dass es Neuanfänge gibt. Da wo man nicht damit gerechnet hat. Für mich ist so ein sprechendes Beispiel die Auferstehungskirche in Pforzheim und die anderen so genannten Notkirchen in Deutschland. Die nach dem Krieg aus den Trümmern gebaut wurden. Wenn mir hier – inzwischen betagte Menschen – mit leuchtenden Augen erzählen, dass sie als Konfirmanden 1947/48 die Steine hoch geschleppt haben und sauber geschrubbt haben, und ich merke wieviel denen dieses Gebäude und die Kirche, für die dieses Gebäude steht, bedeutet. Dann hat das für mich sehr viel mit einer Lebensgeschichte des Geistes Gottes zu tun.
Oder die Konfirmandin, die mir schreibt: ‚ich bin jetzt eigentlich nicht so traurig, dass keine Konfirmation war, weil da kann ich noch länger in Konfi-Unterricht gehen. Und ich freu mich mega auf meine Konfirmation.‘
Eine Konfirmandin, die sich im Februar hat taufen lassen. Wenn da nicht der Geist Gottes am Werk ist, weiß ich nicht. Also irgendetwas ist bei ihr angerührt. Das sind Lebensgeschichten Gottes, des Geistes.

Steinmann
„Der Geist wird euch auch helfen, die Wahrheit zu verstehen“. Steht auch in der Bibel.
Wenn wir das mal auf die gegenwärtige Krise beziehen. Hat die auch eine Wahrheit, in die uns der Geist Gottes hineinführt und etwas daraus erkennen lässt?

Springhart
Also ich würde mal vorwegsagen, dass ich es wichtig finde, Wahrheit und Sinn zu unterscheiden. Weil in der Frage könnte man so auf die Idee kommen, die ich für falsch halte, „OK, Krise als Chance. Wir haben jetzt hier die Chance, uns völlig neu zu betrachten und deswegen reden wir uns diese Krise schön. Das finde ich deswegen falsch, weil es das Leid übergeht. Für die die an der Krankheit erkranken, für die die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen usw. Falsch fände ich auch, Corona als Strafe Gottes zu verstehen.
Aber was ist es denn? Welche Wahrheit könnte drinstecken.
Ich finde, die Wahrheit, die drinsteckt, dass sie den Blick dafür schärft, dass es zum Menschsein gehört, verwundbar zu sein. Und zwar für alle.
Im Moment ist so viel davon die Rede, dass es die vulnerablen Gruppen gibt, also die Alten und die chronisch Kranken, die besonders schutzbedürftig sind. Es klingt immer ein bisschen so, als wären nur die verwundbar. Was uns gesellschaftlich jetzt eigentlich schockiert oder trifft, ist die Erkenntnis: wir sind es alle und wir können die nicht aussortieren.
Das ist ne Wahrheit, die nicht erst seit Corona gilt, die sich aber jetzt aufdrängt, darüber nachzudenken und ernst zu nehmen.
Ne andere theologische Wahrheit liegt für mich darin, Krankheit und Tod in ihren bedrängenden Dimensionen ernst zu nehmen. Das ist eigentlich ein Grundmoment des christlichen Glaubens. Wir reden deswegen von Neuschöpfung und Auferstehung, weil wir von Krankheit und Tod bedrängt sind.
Und zuletzt ist mir schon auch wichtig, dass die globale Dimension, die sich mit dieser Pandemie verbindet, eben auch hilft zu sehen: so schwierig die Situation bei uns ist, sie ist eben nicht zu vergleichen damit was Covid19 für die Menschen in den südafrikanischen Townships und in den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln bedeutet. Also den weiten Blick. Die Wahrheit bedeutet: es reicht nicht, um sich selber zu kreisen.

Steinmann
Sagt ja auch die Theologie des Geistes oder die Zeugnisse, die Texte in der Bibel, dass eine Wirkung des Geistes ist, dass man sich um die Schwachen kümmert, dass die Schwachen unter dem besonderen Schutz des lebendigen Gottes stehen. An wen sollten Christen besonders denken?

Springhart
Da denk ich, wenn wir jetzt weltweit gucken an die schon genannten in den Townships und Slums auf der südlichen Halbkugel. Aber ich denke auch an die Menschen in China und Hongkong, die nicht nur von dem Virus in besonderer Weise getroffen sind und waren, sondern auch von Meinungs- und Pressefreiheit, die beschnitten ist, in diesen Ländern. Ich denke aber auch an die Kinder und Frauen bei uns, die in besonderer Weise von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sind. Ich denke, das ist ein großes Problem, was sich mit dieser Situation verbindet. Und die Flüchtlinge vor den Toren Europas. In Morija und anderswo.

Steinmann
Letzte Frage: Pfingsten erinnert daran, dass der Geist Gottes überall lebendig ist.
Du hast Beziehungen in alle Welt. Wenn es ginge, wo würdest Du heute gern Pfingsten feiern, mit wem von diesen Freunden und Kolleg*innen?
Es geht ja nun nicht. Wirst Du dich trotzdem mit ihnen verbinden?

Springhart
Also eigentlich wäre ich morgen nach Tel Aviv geflogen. Da werde ich sicher dran denken, auch ein bisschen schmerzlich. Aber die intensivsten persönlichen Beziehungen habe ich nach Chicago. Also wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich in Chicago feiern. Und mit denen werde ich sicher auch Kontakt haben. Meine Gedanken gehen aber sicher auch nach Südafrika, wo ich Freunde und Kollegen habe. Wo die Situation gerade richtig schwierig ist.

Steinmann
Was ist das Besondere an der Situation in Südafrika?

Springhart
In den Townships ist es eben viel schwieriger in den Griff zu kriegen, weil da einfach nicht möglich ist, sich sozial zu distanzieren. Ich denke, das Virus insgesamt, wenn es in Südafrika und auf dem afrikanischen Kontinent sich ausbreitet, sind einfach die Möglichkeiten, einzugreifen, sehr viel kleiner. Was für die USA gilt, dass die sozialen Spannungen deutlich werden, das wird natürlich in so einem zerrissenen Land wie Südafrika, noch deutlich verschärfter zu sehen sein.

Steinmann
Siehst Du eine Möglichkeit, dass wir von hier aus, auch etwas tun könnten?

Springhart
Was Corona angeht bin ich da skeptisch. Ich denke, Südafrika und die Länder der südlichen Halbkugel sind uns insgesamt aufgegeben. In unserer Art, uns mit Lebensmitteln zu versorgen, mit Rohstoffen, mit Kleidern. Und da jetzt nicht auch das Unsere noch beizutragen, dass die Ärmsten der Armen dann auch unter unwürdigen Bedingungen leben. Und die Kontakte zu halten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31014
weiterlesen...