SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

28MAI2020
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Ich wohne am Rand der Stadt. Gleich nebenan gibt es Felder, Wiesen und Wald. Und viele kleine Wege, wo man schön spazieren gehen kann. Das haben in den letzten Wochen viele entdeckt und genützt. Für meine Verhältnisse waren es manchmal schon zu viele, wenn ich mich bei meiner Spazierrunde in einer Art „Völkerwanderung“ wiedergefunden habe. Aber gleichzeitig hab ich mir gedacht: Wie schön, dass so viele Leute die Natur entdecken, Zeit haben, um draußen zu sein, dass viele mehr an der frischen Luft sind als sie es sonst tun oder können.

Umgekehrt ist mir aufgefallen, dass es während der Corona-Beschränkungen anderes weniger gegeben hat als vorher. Ich bin deutlich seltener mit dem Auto unterwegs gewesen. Ich habe weniger eingekauft. Ich hatte kaum Besprechungen und so gut wie keine Verpflichtung am Abend. In meinem Terminkalender gab es so viele leere Stellen wie noch nie. Das alles hat zu einem weniger an Hektik, Aufregung und Unruhe geführt. Und ich gebe zu: Das habe ich sehr genossen. Vor allem deshalb, weil ich trotzdem nie den Eindruck hatte, etwas Wichtiges zu versäumen oder meine Aufgaben nicht zuverlässig zu erfüllen. Das ging alles gut. Auch ohne, dass es so schnell ging und so viel war wie bisher.

Die Corona-Zeit bietet - neben allen Problemen - gute Gelegenheiten, um herauszufinden und auszuprobieren, worauf wir verzichten können. Aktuell wird das ja in manchen Bereichen immer noch von uns verlangt. Ganz real und spürbar. Wir haben nicht die Wahl. Aber wir werden sie irgendwann wieder haben. Deshalb habe ich eine Liste angefangen. Auf der stehen alle Aktivitäten und Produkte, bei denen ich mich gerade einschränke und das auch in Zukunft tun will. Weil ich überzeugt bin, dass das gut so ist. Für mich, für andere, fürs Klima, für unser Miteinander. Das Folgende steht schon auf meiner Liste:

* Weniger dienstlich reisen. Die Erfahrung der letzten Wochen hat gezeigt, dass nicht jede Konferenz sein muss, wo Leute aus größeren Entfernungen zusammenkommen. Das geht nicht immer, aber oft auch per Telefon oder Videokonferenz.

* Weniger konsumieren. Zum Anziehen habe ich genug. Es gibt noch haufenweise ungelesene Bücher in meinen Regalen. Die Augen sind oft zu groß. Und der Impuls, etwas haben zu wollen, ist sehr verführerisch. Den kann ich besser im Griff haben als früher. Und wenn ich einkaufe, dann die Geschäfte im Blick haben, deren Existenz durch Corona bedroht ist.

* Weniger Perfektion. Fast immer genügen 80 Prozent. Alles andere erzeugt unnötigen Druck und führt in der Konsequenz zu schlechter Stimmung.

Wo weniger ist, entsteht Raum für anderes, das sonst übersehen wird. Weil es zerbrechlich ist oder leise. Aber eine Chance verdient hätte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30968
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