SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

24MAI2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Fürbittbuch, das in unserer Kirche am Eingang liegt ist fast bis zur letzten Seite beschriftet. Mit Gebeten, Sorgen und Anliegen. Gerne blättere und lese ich darin und staune was Menschen so alles beschäftigt, wenn sie alleine hier in der Kirche sind. Kinder schreiben da etwas auf. Mit Großbuchstaben und Schreibfehlern. Erwachsene setzen gerne unter ihr Gebet noch ihre Unterschrift und das Datum. Und was alte Menschen geschrieben haben, erkennt man an der zittrigen Schrift.

Da lese ich von der bevorstehenden Operation und dass hoffentlich alles gut geht. Da wird gebetet für Flüchtlinge und Hungernde. Liebe Menschen, die gestorben sind, werden genannt und von der Trauer um sie wird erzählt. Auch den Kummer vor der bevorstehenden Klassenarbeit kann ich darin finden. All die Sorgen in den Corona Krisenzeiten werden dem Buch anvertraut. Und einer erzählt von seiner Freundin und der Hoffnung, dass sie doch endlich ja zu ihm sagt. Beten. Das pralle Leben kommt in dem Buch zur Sprache.

Heute wird im Katholischen Gottesdienst ein Text aus der Apostelgeschichte vorgelesen. Auch dort wird gebetet. Es ist die Zeit nach Ostern. In einem „Obergemach“ heißt es da versammeln sich Frauen und Männer zum Gebet. Jüngerinnen und Jünger von Jesus. Seine Mutter Maria. Und seine Brüder. Damals war das „Obergemach“ ein Ort im Haus, in dem Menschen zusammenkamen um in der Bibel zu lesen, darüber nachzudenken und zu beten. Dieses Obergemach ist jetzt ein Ort an dem ihnen bewusst wird wie sehr ihr Freund Jesus fehlt. Denn auch der war in solch einem Obergemach zum letzten Mal mit seinen Freunden zusammengekommen. Damals, am Abend vor seinem Tod. Zum Mahl. Wie soll jetzt alles weitergehen? Ohne ihn. Was haben sie durchmachen müssen seit seinem Tod. Am Karfreitag schien die Sache Jesu gelaufen, ja buchstäblich begraben worden zu sein. Unverhofft dann der Ostermorgen. Das leere Grab und die Nähe zu ihm, die manche spürten. So ganz anders wie noch zu seinen Lebzeiten. Sie brauchen ihn so sehr.

Auch das Fürbittbuch in unserer Kirche ist voll davon. Von Ängsten und Sorgen. Von Ausweglosigkeiten. Von großem und kleinem Kummer. Und immer vom Ruf nach Gott, er möge doch eingreifen hier unten auf der Erde und die Not wenden. 

Teil 2 

Um das Beten und wozu es gut sein kann, darum geht es heute Morgen in den Sonntagsgedanken. 

Gleich zu Beginn der Apostelgeschichte berichtet der Verfasser wie die engsten Vertrauten von Jesus nach seinem Tod zum Beten zusammenkommen.

„Sie alle verharrten einmütig im Gebet“, heißt es da. Das alte Wort verharren meint so viel wie durchhalten,oder aushalten. Wer im Gebet verharrt gibt in entmutigenden Momenten nicht gleich auf. Doch das ist leicht dahingesagt. Was habe ich schon gebetet, sagen wir auch. Und es hat nichts genützt. Immer hoffen wir, dass unsere Bitten durch inständiges Beten erfüllt werden. Wir meinen: Gott wird schon eingreifen und alles zum Guten führen. Wie oft hatten wir schon gehofft, dass da Hilfe kommt. Was habe ich schon gebetet. Und es hat nichts genützt.

Die Sprache der Gebete ist die am weitesten verbreitete Sprache der Menschen. Es ist eine Sprache, die keine Sprachverbote kennt. Sie verurteilt Gott nicht zur Antwort. Denn Gott bleibt unergründlich. Unverfügbar. Mein Beten kann Gott nicht zum Handeln zwingen. Gott lässt Fragen offen. Bleibt mir Antworten schuldig. Das lehrt uns die Geschichte. Das zeigen all die unerhörten Gebete. Auch die im Fürbittbuch unserer Kirche. Das zu respektieren ist bitter. Aber warum dann noch mein Danken und Beten. Mein Loben, Klagen, Fragen, Fordern und Protestieren im Gebet.

Die Theologin und Dichterin Dorothee Sölle hat einmal geschrieben:

Beten heißt, große Wünsche haben:

Die großen Wünsche nach Gerechtigkeit,

nach dem Sieg über das Unrecht,

nach einem menschenwürdigen Leben,

die hat man nicht einfach so,

die muss man lernen.

Beten ist Revolte.

Wer betet sagt nicht: So ist es und Amen!

Er sagt: So ist es! Und das und das soll geändert werden.

Beten ist eine intensive Vorbereitung auf das Leben.

Wer betet resigniert nicht angesichts der Zustände dieser Welt und gibt nicht die eigene Verantwortung an Gott ab. Im Gebet verharren. Einmütig. Im Obergemach. Damals bei den treuen Weggefährtinnen und Weggefährten Jesu, die jetzt ohne ihn auskommen mussten, geschah das Unerwartete. Pfingsten stand vor der Tür. Gottes Geist kam dazwischen. Eröffnete ihnen Perspektiven, für die sie zuvor blind waren und führte sie heraus aus Lethargie, Angst und Trauer.

Sie erinnerten sich an Jesu Worte. Er hatte gerade nicht zu allem so ist esund Amengesagt. Sie erkannten, dass sie selber Verantwortung für die Mitmenschen und eine gerechte Welt haben. Sie schritten zusammen zur Tat, weil sie, wie Dorothee Sölle meint, große Wünsche hatten. Ihr Gebet wurde zur Revolte.

Beten im Obergemach. Kein Rückzug. Sondern intensive Vorbereitung auf das Leben. Mit ganz viel Verantwortung. Und ganz viel Vertrauen auf seine Nähe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30957
weiterlesen...