Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27MAI2020
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Der Riese BFG sammelt Träume. So ist das in dem Märchenfilm „Sophie und der Riese“, den ich neulich gesehen habe. BFG steht für big friendly giant – auf Deutsch: großer freundlicher Riese. Dieser BFG fängt Träume und steckt sie in Einmachgläser. Im Märchen geht so etwas. In seiner Sammlung hat der Riese alle möglichen Träume: schöne und Albträume. Sein schlimmster Albtraum heißt „Sieh nur, was Du getan hast, das kann dir niemals vergeben werden“.

Das hat mich überrascht in diesem Märchen für Kinder. Der schlimmste Albtraum heißt nicht „Nachts auf dem Friedhof“ oder „Das Monster unter meinem Bett“. Der schlimmste Albtraum heißt: „Sieh nur, was Du getan hast, das kann dir niemals vergeben werden“. Eigentlich ist das etwas, das vor allem Erwachsene kennen und verstehen: Fehler der Vergangenheit können einen über Jahre hinweg verfolgen bis in die Träume hinein. Dinge, die man anderen oder sich selbst angetan hat, tauchen immer wieder quälend aus der Erinnerung auf. Der Sänger Tim McGraw singt in einem Lied darüber: von dem Mitschüler, der von ihm er gedemütigt wurde und von dem Mädchen, das er sitzen gelassen hat.

„Sieh nur, was Du getan hast, das kann dir niemals vergeben werden“.
Aber wer sagt das eigentlich? Gott? Ich glaube, nicht, dass Gott so redet. Wenn ich mir anschaue, wie Jesus Menschen begegnet ist, dann sehe ich: Gott möchte nicht, dass schlimme Fehler einen Menschen sein Leben lang verfolgen. Von Jesus lerne ich: Gott vergibt Schuld. Und er unterscheidet dabei nicht zwischen Dingen, die er vergeben kann und Dingen, die er nicht vergeben kann.

Dabei Gott redet die Schuld nicht klein. Das ist sie oft ja auch nicht. Aber er will nicht, dass sie mich für immer belastet. Er möchte, dass ich wieder nach vorne schauen kann. Gott sagt „Sieh, was du getan hast“. Aber der Satz geht bei ihm anders weiter als im Albtraum: „Sieh, was du getan hast. Das vergebe ich dir“.

„Das kann dir niemals vergeben werden“ – das sagt nicht Gott. Das sage ich mir selbst. Es ist gar nicht so einfach, sich selbst zu vergeben. Aber ich denke, man kann das lernen: mehr auf Gottes Stimme zu hören als auf die eigene.

Wenn es einem schwer fällt, sich selbst zu vergeben, hat das oft auch etwas mit der eigenen Erziehung zu tun. Ob der verschüttete Becher Milch eine Katastrophe ist oder eben nur ein verschütteter Becher Milch, das prägt Kinder. Deshalb passt es vielleicht doch, dass der Albtraum „Sieh nur, was Du getan hast, das kann dir niemals vergeben werden“ in einem Märchen für Kinder auftaucht. Wir Erwachsenen können viel dafür tun, dass dieser Albtraum für unsere Kinder fest verschlossen im Einmachglas bleibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30951
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