SWR2 Wort zum Tag

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19MAI2020
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„Jetzt ist es aber genug! Es reicht!“ – Die Stimmungslage in der Bevölkerung ändert sich: War anfangs noch ein breiter gesellschaftlicher Konsens erkennbar, im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie auf vieles zu verzichten, so wächst inzwischen eine gewisse Ungeduld.

Verständlich. Für viele steht in den Wochen der Corona-Schutzmaßnahmen die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel, für manche hat die lange Zeit des Warten-Müssens das berufliche Aus bedeutet. Und ohne Perspektiven auf Veränderung einfach nur abwarten zu müssen, macht mürbe.

Was mich in diesen Tagen aber noch mehr beschäftigt, ist die Frage nach der „Halbwertszeit“ meiner Geduld, also danach, wie lange sie währt. Wie viel Geduld bringe ich auf, um etwas durchzustehen? Wie gespannt darf mein Geduldsfaden sein, bis er reißt?

Wenn ich über diese Fragen nachdenke, merke ich zunächst, dass meine Geduld schon lange nicht mehr auf die Probe gestellt war. Ich bin diesbezüglich – sportlich ausgedrückt – etwas eingerostet. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der die Verwirklichung von Interessen und die Befriedigung von Bedürfnissen relativ schnell vonstatten gehen kann. Wir leben im Zeitalter der Beschleunigung – wohl nicht zuletzt genau deshalb…

Geduld, und zwar: Geduld ohne klare Terminvorgabe, ist also eine harte Übung. Sie erinnert mich an zähe Autofahrten in der Kindheit. Geduld sei eine Tugend, hat man mir damals gesagt, und so heißt es noch heute. Aber ist das wahr? Ist Geduld überhaupt etwas Menschliches, oder sind wir Menschen nicht von Natur aus ungeduldig?

Interessanterweise redet die Bibel an vielen Stellen von der Geduld Gottes. Die scheint angesichts der bitteren Erfahrungen in der Beziehungsgeschichte Gottes mit den Menschen auch bitter nötig. Gott hat Geduld mit den Menschen, wenn sie andere Wege gehen als das, was er seinen Menschen orientierend an die Hand gibt. Und er hat Geduld zu warten, bis sie von Irrwegen umkehren.

Ich frage mich, ob ich nicht etwas lernen kann von der Geduld Gottes oder besser – wie es biblisch heißt – von seiner Langmut. Ich möchte lernen, meine Lebenszeit mit einem großzügigeren Maß zu messen. Ich möchte mir und anderen mehr Zeit lassen und den Bedürfnisaufschub neu lernen – und auch darum bitten.

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