SWR2 Wort zum Tag

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18MAI2020
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Wochenlang lagen die Schutzmaßnahmen der Corona-Pandemie lähmend über dem Land. Vieles, sonst ganz selbstverständlich, war mit einem Mal nicht mehr möglich.

Ich habe auch vieles vermisst in den zurückliegenden Wochen, Besuche bei den Enkeln, Kulturveranstaltungen, mit Freunden wandern gehen und einkehren. Doch zugleich fand ich es gut, einmal zu spüren, was mir fehlt, wenn vieles nicht so möglich ist, wie ich es gewohnt bin. Ich finde es gut, neu zu erspüren, was mir wichtig ist und was vielleicht weniger wichtig, was ich wirklich vermisse und worauf ich auch gut und gerne ein paar Wochen verzichten kann – Prioritäten neu sortieren.

Und ja, auch bei mir stellt sich das Bedürfnis ein, etwas „nachzuholen“, worauf ich unfreiwillig verzichtet habe. Doch manchmal habe ich in diesen Tagen den Eindruck, mit den Lockerungen nach dem Lockdown müsse schnellstmöglich der so genannte Normalzustand wiederhergestellt werden; will heißen: der Zustand von früher.

Wahrscheinlich ist es ein tiefes Bedürfnis von uns Menschen, nach einer Zeit ungewohnter Erfahrungen und Herausforderungen zum Üblichen, Altvertrauten, „Normalen“ eben, zurückzukehren. Aber was ist eigentlich „normal“? Ist es „normal“ so, wie es früher einmal war? Ist das Gewohnte normal? Oder lehrt die Erfahrung von etwas Außergewöhnlichem nicht auch, das Altvertraute, das Übliche neu zu bewerten?

Wenn ich die biblische Rede von der „Umkehr“ recht verstehe, dann ist damit keine Rückkehr zum Althergebrachten gemeint, sondern ein Umdenken. Die Erfahrungen, die ich in einer Ausnahmesituation machen kann, sollen korrigierend in meinen üblichen Lebensverlauf eingreifen.

In den zurückliegenden Wochen habe ich es genossen, dass es weniger Verkehr auf unseren Straßen gab und dass keine Kondensstreifen den Himmel durchkreuzten. Die Verlangsamung der Ausbreitung des Virus hat auch mein Lebenstempo verlangsamt – und diese Entschleunigung hat mir gut getan. Ich habe alte Formen, meine Freizeit zu gestalten, neu entdeckt, und Beziehungen anders gepflegt. Ich habe mich auch daran gewöhnen können, dass es Ladenschließzeiten und geschlossene Konsumtempel gibt – jedenfalls auf Zeit. Die Frage steht im Raum: Zu welcher „Normalität“ will ich zurück? Und vielleicht will ich nicht einfach eine Rückkehr, sondern besser eine Umkehr?

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