SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

17MAI2020
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Lassen Sie sich erweichen, wenn sie sich einmal in einer Sache festgelegt haben? Kommt man bei Ihnen mit wütendem Fußaufstampfen und Tränen weiter? Oder hören Sie eher auf ruhige Argumente? Und: Ist das überhaupt gut, wenn man sich erweichen lässt? Bleibt man nicht besser standhaft und knickt nicht gleich ein?

Ich erzähle Ihnen mal eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel. Da geht es darum, dass sich sogar Gott einmal umstimmen lässt. Gott ist in dieser Geschichte rasend zornig und verletzt, so wie jemand, der verliebt ist und den man sitzengelassen hat. Genau das ist Gott nämlich passiert.

Gott hatte das Volk Israel aus Ägypten befreit. Das war schon ein Stück Arbeit gewesen, bis Gott seinen Gesandten Mose soweit hatte, dass der mitgemacht hat. Mose hatte geklagt: Die hören doch nie auf mich! Ich kann ja nicht mal gut reden! – Aber Gott hat sich richtig abgerackert, um seine Leute da aus der Sklaverei rauszuholen. Nun war alles perfekt. Das Einzige, was noch gefehlt hat, das waren ein paar Gebote und Regeln für das neue Land.

Also ist Mose auf den Berg Sinai gegangen. Dort wollte Gott ihm Regeln geben für ein gutes Leben in Freiheit. Doch jetzt haben die Leute den Mose nicht mehr gesehen und von Gott nichts gehört. Sie haben sich Sorgen gemacht. Da haben sie sich kurzerhand ein Kalb aus Gold gegossen und getanzt und gerufen: Hier ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten befreit hat!

Nicht wahr: das alte Lied! Der Mann, für den man alles getan hat, der hat plötzlich eine andere. Die Frau, die man auf Händen getragen hat, die hat jetzt einen anderen. Kommt immer wieder vor. Und hier ist es also Gott, dem das passiert.

In der Bibel, da sagt Gott zu Mose: Geh mir aus dem Weg! Die mach ich jetzt fertig, alle zusammen! Und aus dir mach ich mir ein neues Volk!

Also, das ist doch ein Angebot! Aber es ehrt Mose, dass er es nicht annimmt. Er fängt an, mit Gott zu verhandeln. Er geht Gott keineswegs aus dem Weg. Er bleibt stehen. Besänftigt Gott. Mit Worten, mit Argumenten. Was sollen denn die anderen von uns denken: Dieses komische Volk hat einen Gott, der sie aus der sicheren Arbeit rausholt und in der Wüste umbringt?! Gott, das passt doch nicht zu dir! Denk doch bitte an all das, was du bisher gesagt und getan hast.

Mose redet Gott zu. Wie einem guten Freund. Und Gott? Gott sagt gar nichts. Gott schweigt. Aber es tut ihm leid. Ohne Worte gibt er Mose recht. Besonders konsequent war das vielleicht nicht. Aber ich finde das bewundernswert: Gott kann über seinen Schatten springen! Ich finde, diese Kunst sollte man können! Bevor ein Unglück passiert. Wie kann ich das üben? Wie springe ich über meinen eigenen Schatten?

So ganz buchstäblich geht das ja nicht. Mein Schatten gehört unlöslich zu mir. Was ich tue, das tut er auch. Wenn ich versuche, über ihn zu springen, dann dreht er sich rasch fort und ist schon wieder woanders.

Und weil das so ist – darum versuchen viele Menschen das gar nicht erst. Auch nicht im übertragenen Sinn. Sie bleiben prinzipientreu, standfest, unbestechlich. Nicht zu erreichen, nicht zu erweichen. Wie viel Unglück passiert, weil einen Menschen keine Tränen und keine guten Worte erreichen können! Weil das Zauberwort „bitte“, zu dem wir als Kinder immer angehalten worden sind – weil dieses Zauberwort leider nur allzu oft gar nichts zaubert!

Wie würde die Welt aussehen, wenn die Menschen mehr aufeinander hören würden? Ich gestehe ganz ehrlich: Ich bin die so leid, diese Prinzipienreiter und Rechthaber. Die immer das letzte Wort haben müssen. Die machen die Welt nicht besser!

Und darum mag ich die kleine Geschichte von Mose und Gott so. Von Mose, der immer gedacht hat, er kann nicht gut reden – und der dann sogar den wütenden, verletzten Gott rumgekriegt hat. Das bewundere ich. Und noch mehr bewundere ich, wie Gott schweigend akzeptiert, dass er beinahe ein Unglück angerichtet hätte. Und es einfach lässt.

Ich bewundere auch Menschen, die das können. Die über ihren eigenen Schatten springen können. Die einsehen, dass sie Fehler machen. Wenn mehr Menschen so wären, dann würde einem auch das Bitten leichter fallen. Dann wäre es wirklich ein Zauberwort, das Menschen umstimmen kann.

Dann hätten wir eine Welt, in der die Menschen sich mehr von anderen erweichen lassen, in der sie aufeinander hören und einander ehrlich um etwas bitten. So eine Welt wünsche ich mir! In so einer Welt braucht es keine Kriege mehr zu geben, auch keine Handelskriege. In so einer Welt, da würden Menschen mehr darauf achten, wie es den anderen geht. Und würden einander mehr helfen. Gerade jetzt in der Corona-Krise, da wäre das doch so wichtig und nötig!

So eine Welt brauchen wir ganz dringend. Ich wünsche mir die sehr! Und ich nehme mir vor, jetzt häufiger andere um etwas zu bitten. Ich weiß jetzt: Jede Bitte macht die Welt besser. Denn jede Bitte gibt einem anderen Menschen die Chance, dass er über seinen Schatten springt. Machen Sie mit? Dann wird die Welt noch besser, versprochen! Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30916
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