SWR3 Gedanken

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19MAI2020
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Ich habe keinen grünen Daumen! Ich vergesse, dass die Palme Wasser braucht, der Gummibaum einen größeren Topf, das Olivenbäumchen Schutz im Winter. Pflanzen brauchen so viel Zuwendung, das schaffe ich nicht, habe ich mir gesagt. Deswegen gibt es in unserer Wohnung seit Jahren eigentlich nur noch Blumensträuße.

Bis zum Shutdown. Im März hat meine jüngste Tochter angefangen, auf eigene Faust den Balkon zu bepflanzen. Ich musste nur Erde kaufen und die Setzlinge und Samen bezahlen. Seither grünt, blüht und wuchert es bei uns. Und ich stelle fest: es macht gar nicht so viel Arbeit! Eigentlich gießt meine Tochter einfach nur regelmäßig und freut sich über jeden neu gewachsenen Millimeter.

Pflanzen versorgen braucht vielleicht gar nicht die aufwändige Rundumversorgung, sondern einfach ein klein wenig regelmäßige Zuwendung. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich bin ja nicht nur bei Pflanzen zurückhaltend. So manchen Zeitgenossen und manche Bekannte meide ich, weil ich befürchte, dass sie zu viel von mir erwarten. Zu viel Zuhören, zu viel Zuwendung, zu viel Zeit.

Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht sind wir alle wie Balkonpflanzen: wir brauchen keine Unmengen von Pflege und Sorge, sondern einfach nur ein wenig Aufmerksamkeit, und das so regelmäßig wie nötig.

Das müsste doch hinzukriegen sein: regelmäßige Telefontermine mit der gestressten Kollegin, ein wöchentlicher Spaziergang mit dem arbeitslosen Nachbarn. Einfach einen gut getakteten Austausch, damit sich alle frei entfalten können. Und womöglich plötzlich für positive Überraschungen sorgen. Wie unsere Balkonerdbeeren: heute morgen haben wir die erste rote Beere geerntet! Zuckersüß – und das mit ganz wenig Aufwand!

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