SWR2 Wort zum Tag

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14MAI2020
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Ein Sohn bittet seinen Vater um sein Erbteil. Als er es erhalten hat, zieht er in die Welt und verprasst das Geld. Er verarmt, besinnt sich auf seine Herkunft und kehrt zurück zum Vater. Der nimmt ihn voller Freude wieder bei sich auf. 

Das ist ganz grob das Gleichnis vom verlorenen Sohn und seinem Vater aus dem Lukasevangelium. Aber in der Geschichte gibt es noch eine dritte Figur: Den Bruder des verlorenen Sohnes. Der kommt mit dem Verhalten des Vaters nicht zurecht. Er fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Denn erist beim Vater geblieben und hat seine Pflicht getan. Aber das scheint für den Vater selbstverständlich zu sein. Nichts Besonderes. Dass der andere zurückkommt, das ist besonders. Das ist für den Vater ein Grund zum Feiern. Der treue und pflichtbewusste Sohn kommt in der Auslegung des Gleichnisses meistens nicht gut weg. Er gilt als neidisch und engstirnig. Aber ich kann ihn gut verstehen. Denn das Verhalten des Vaters gegenüber dem verlorenen Sohn ist zwar großherzig, es ist liebevoll, aber gerecht ist es nicht. Zumindest, wenn wir unsere Vorstellung von Gerechtigkeit anwenden. 

Wenn wirvon Gerechtigkeit sprechen, geht es darum, dass jeder gleich behandelt wird. Aber in der Welt scheint es keine Gerechtigkeit zu geben. Wir brauchen nur auf die Verteilung des Wohlstandes zu schauen. 

Also hoffen Menschen, die glauben, auf eine Gerechtigkeit Gottes. Dass Gott Gerechtigkeit herstellt. 

Was wir in der Welt nicht schaffen, das soll Gott richten. Aber die Geschichte vom verlorenen Sohn passt nicht zu dieser Hoffnung. Wenn dort der Vater für Gott steht, dann sind wir auf der Suche nach Gerechtigkeit bei ihm vermutlich an der falschen Adresse. Wieder nichts! Wieder wird einer bevorzugt, einer benachteiligt. 

Allerdings geht es in dem Gleichnis hauptsächlich um Liebe. Und Liebe ist nicht gerecht. Sie hebt immer eine Person heraus. Gottes Gerechtigkeit ist offenbar so, dass er jeden von uns liebt. Aber auch das ist für mich schwer zu verdauen. Der Blick in die Geschichte zeigt mir viele Menschen, die in die Hölle geworfen gehören für das, was sie getan haben. 

Ich bin recht ratlos in meiner Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Ich sehe nur einen Ausweg: Gott als Vorbild zu nehmen. Also auch zu lieben. So einseitig scheinbar, aber hartnäckig und konsequent zu lieben, dass sich die Liebe verbreitet. Und irgendwann, so könnte die Idee Gottes aussehen, ist die Welt so sehr mit Liebe angefüllt, dass es gar keine Gerechtigkeit mehr braucht. 

Ich halte das für unrealistisch. Aber bis vor kurzem habe ich auch nicht gedacht, dass ein Virus uns alle in Beschlag nehmen und die Welt lahmlegen würde. Also ist vielleicht auch eine Pandemie der Liebe möglich. Und Jesus … Der könnte da vielleicht der Patient Null sein.

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