Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04MAI2020
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„Wenn Du beten willst, dann bete Dein Leben!“ Ich kann gar nicht mehr sagen, wann ich diesen Satz zum ersten Mal gehört habe oder wer ihn gesagt hat. Seit ich klein war versuche ich in Worte zu fassen, was mich bewegt. Das ist für mich beten, aber nicht nur. Ich habe inzwischen einen Rhythmus gefunden. Beim Aufstehen, vor dem Essen, vor dem Einschlafen. Ich empfinde für mich dieses Wiederholen als sehr angenehm. Es bereichert mein Leben, weil es mich ruhig und gelassen macht. Gerade in dieser Zeit, wo vieles in meinem Alltag anders ist als sonst.Die Gedanken, die mir kommen, greife ich auf und nutze sie für mein Gebet. Wenn ich müde bin, fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren, da ist dann nur bleierne Müdigkeit. Aber ich glaube, allein schon das Innehalten ist Beten. „Wenn Du beten willst, dann bete Dein Leben!“

Was ich im Lauf der Jahre gemerkt habe: Ich brauche Stille, um mich selbst zu finden, um Gott zu finden. Dann spüre ich meinen Körper, kann Gedanken ordnen und Gefühle wahrnehmen. Erst in der Stille bilden mein Inneres und mein Äußeres eine Einheit.In den letzten Wochen gab es mehr Stille als sonst. Weniger Verkehrslärm, weniger Fluglärm. Irgendwie habe ich das genossen und genieße es immer noch, [ obwohl ich weiß, dass das nicht immer so bleiben wird und auch nicht bleiben kann. ]In dieser ungewohnten Stille „mein Leben beten“, heißt für mich, achtsam meinen Körper spüren, bewusst wahrnehmen, dass und wie sehr mir der Körperkontakt zu Freunden und Verwandten fehlt. Es ist für mich mehr als nur ungewohnt, den verbindlichen Händedruck zur Begrüßung oder zum Abschied wegzulassen. Die gebotenen Kontaktbeschränkungen sind für mich schmerzhafter Verzicht. Heute „mein Leben beten“ heißt für mich, die Gedanken, so widersprüchlich sie auch sind, einfach zulassen. Aushalten, dass ich noch nicht weiß, wann und wie zukünftig mein Leben aussieht. Ob es so etwas wie Normalität, wie vor der Corona Krise, überhaupt wieder geben wird. Heute „mein Leben beten“, heißt für mich das Gefühl von Ohnmacht zulassen. Das fällt mir schwer. Ich bin ein Mann der Tat, ein Pragmatiker, einer der gerne zupackt. Das war in den letzten Wochen nicht so einfach. Ich habe mich anfangs wie betäubt gefühlt. Zu Hause bleiben war für mich wie eine Strafe. Je mehr ich mir aber Zeit für dieses Gefühl genommen habe, desto mehr habe ich begriffen, dass ich nur einer von vielen bin, denen es wahrscheinlich ähnlich geht.

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