SWR4 Abendgedanken

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21APR2020
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„Fühl dich aus der Ferne gedrückt!“ Ein Bild mit diesem Text habe ich in den letzten Wochen des Öfteren geschickt bekommen. Als Textnachricht auf mein Handy. So zwischendurch. Von lieben Menschen, die ich nicht besuchen durfte.

Am Anfang dieser Zeit habe ich das noch gut weggesteckt. Gut, dann geht man halt mal auf Distanz. Dann telefoniert oder schreibt man eben anstatt sich zu besuchen. Das ist doch kein Problem habe ich gedacht. Und ich habe mich nicht geirrt. Trotzdem lag ich falsch.

Es war nämlich schwer und leicht zugleich.

„Ich würde gerne meine Mutter im Pflegeheim besuchen“, hat mir eine Frau ihr Leid geklagt. „Aber ich darf ja nicht. Es fehlt mir so, sie zu sehen.“ Und Trauer lag in ihrer Stimme. „Meine Urenkelin ist zur Welt gekommen. Ich bin so glücklich über ihre Geburt“, hat mir ein alter Mann erzählt. „Aber ich darf sie nicht berühren. Nur durch die Fensterscheibe kann ich sie sehen. Ich freue mich so auf die erste Begegnung, wenn ich sie in den Arm nehmen kann.“ „Ich bin stolz, dass meine Oma sich an die Regeln hält“, hat mir eine junge Frau berichtet. „Normalerweise hat sie ja ihren eigenen Kopf, aber dieses Mal ist alles anders, dieses Mal hält sie sich an die Vorgaben. Ich gehe für sie einkaufen. Aber mir fehlt es, sie mal in den Arm zu nehmen und zu drücken.“

Liebe hat sich so vielfältig gezeigt. In Nächstenliebe. Im Einkauf. Im Telefonat. Im Einhalten der Regeln. Und doch hat der Liebe etwas gefehlt. Nämlich sich in den Arm zu nehmen, sich zu berühren, kurz oder lang, freundschaftlich oder verliebt, väterlich oder kumpelhaft. Egal. Die Liebe war nicht ganz vollständig.

Aber dennoch haben sich so viele Menschen daran gehalten. Weil sie weise waren. Weil ihnen vielleicht auch unbewusst die Worte des alten, biblischen Predigers in den Ohren geklungen haben. Dieser kluge Mann hat vor einigen tausend Jahren schon festgestellt, dass alles im Leben seine Zeit hat. Eben auch eine Zeit, sich zu umarmen und eine Zeit, sich zu trennen. Denn für alles gibt es eine bestimmte Stunde. Und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit.

Die Liebe kann sich so vielfältig zeigen. So schön und so kreativ. Auch in diesen Zeiten. Und trotzdem fehlt die Nähe. Die Berührung. Leider gibt es Zeiten, da muss gelten: „Fühl dich aus der Ferne gedrückt.“

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