SWR2 Zum Feiertag

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10APR2020
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Ein Gespräch mit Klinikseelsorger Joachim Schmid, Tübingen

– ein Gespräch mit dem Tübinger Klinikseelsorger Joachim Schmid und Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas von der Evangelischen Kirche.

Rittberger-Klas:
Der Karfreitag ist ein äußerst sperriger Feiertag. Die Geschichte vom Sterben Jesu erzählt von Schuld und Sühne, vom Leiden und von der Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind. Alles keine angenehmen Themen. Der Karfreitag stellt vieles in Frage. Und er lässt einen – auf jeden Fall mich – mit vielen Fragen zurück. Über den Karfreitag spreche ich heute mit Joachim Schmid. Er ist evangelischer Pfarrer und Krankenhausseelsorger an der Tübinger Uniklinik.
Herr Schmid, Sie sind schwerpunktmäßig auf den Stationen der psychiatrischen Klinik unterwegs. Dort haben Sie mit Menschen in besonderen Krisensituationen zu tun. Welche Erfahrungen machen Sie da mit dem Karfreitag?

Schmid:
Viele psychisch erkrankten Menschen leiden unter extremen Schuldgefühlen. Besonders in depressiven Phasen ist das bedrückende Gefühl übermächtig, anderen Menschen, sich selbst und auch Gott nicht zu genügen. In Psychosen kann das dann soweit gehen, dass Patienten unter Wahnvorstellungen und Stimmen leiden, die ihnen sagen, dass sie verantwortlich seien für Schreckliches und Böses in der Welt. Ich habe einen Patienten kennengelernt, der mir sagte, er hätte Jesus ans Kreuz geschlagen. Eine andere Patientin äußerte sich wütend und bedrückt zugleich, etwa so: „Ich will aber nicht, dass da an Karfreitag ein anderer für mich stirbt! Ich will überhaupt nicht, dass jemand leidet und stirbt.“ Ich kann das auch nachvollziehen, unabhängig von einer Krankheit.

Rittberger-Klas:
Der Karfreitag als Herausforderung, ja als Überforderung – ich glaube, das geht durchaus auch anderen Menschen so, die nicht an einer psychischen Erkrankung leiden. Nicht wenige Menschen haben ja mit der Betonung der Sünde in der Kirche ihre Probleme. Ich glaube, es ist gut, diese Empfindungen ernst zu nehmen. Vielleicht mahnt uns das, mit der Wucht der Karfreitagsthemen „behutsam“ umzugehen, ohne sie zu verdrängen...

Schmid: Den anderen mit seinen, mit ihren Gefühlen und Gedanken annehmen, darin sehe ich meine Aufgabe als Seelsorger allgemein – aber natürlich besonders in der Psychiatrie. Es gibt nicht wenige Patienten – und das nicht nur in der Psychiatrie – die ihre Krankheit als eine Strafe Gottes ansehen oder sogar erleben. Dagegen möchte ich – gerade in unseren Tagen – daran festhalten: Krankheit, egal welche, ist keine Strafe Gottes. Die ersten Christen haben den Kreuzestod Jesu mit dem alten Prophetenwort von Jesaja gedeutet: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden haben.“ (Jesaja 53,5) Christen erkennen im Kreuz die Befreiung von Sünde und die Befreiung von Bestrafung durch Schicksalsschläge. Das Kreuz Jesu steht für mich als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.

Rittberger-Klas:
Sie sind nicht nur in der Psychiatrie unterwegs, sondern auch auf andere Stationen in der Klinik. Erleben Sie da auch Situationen, wo Patientinnen und Patienten die Geschichte vom Karfreitag für sich als hilfreich, als tröstlich empfinden?

Schmid:
Neulich sagte mir eine Tumorpatientin, die erfolgreich operiert werden konnte, aber dennoch eine unsichere Prognose hat, dass sie gerade in der Passionszeit auch eine Dankbarkeit für das Leben spüre, das ihr noch geschenkt ist. Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen ihr Leid in der Krankheit in den Horizont des Leidens Jesu am Kreuz bringen: Da ist einer, der selbst leidet, ja sogar den grausamen Foltertod stirbt, und der mich nicht verlässt in dem, was mir widerfährt, sondern mir zur Seite steht.
Ein junger Mann, der von meiner Kollegin in seinen letzten Tagen seelsorgerlich begleitet wurde, und in seinem Leben immer zuversichtlich im Glauben war, hatte an Karfreitag plötzlich keine Kraft mehr zu beten. Geholfen hat ihm die Zusage, dass Christus selbst nun in ihm betet und singt. Ich bleibe hier und wache mit dir, wache und bete – also eine Abwandlung des Taizé-Liedes, darin konnte sich der junge Mann aufrichten und seinen Frieden finden.

Rittberger-Klas: Was bedeutet für Sie persönlich Karfreitag? Hat sich Ihr eigener Zugang zur Geschichte vom Sterben Jesu auch verändert durch ihre Arbeit in der Klinik?

Schmid:
Es ist mir bewusster geworden: Gott selbst leidet und stirbt am Kreuz. In einem alten Kirchenlied hieß es früher: „O große Not, Gott selbst liegt tot“. Es wurde dann etwas abgemildert später zu „Gotts Sohn liegt tot“. Aber dass Gott selbst leidet, dass Gott nicht nur allmächtig ist, sondern ohnmächtig stirbt, seine Verlassenheit klagt – in Jesu Worten „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – das erlebe ich in schweren seelsorgerlichen Situation als sehr tröstlich. Es gibt keinen Ort und keine Not, weder in der Klinik noch sonst wo, wo Gott nicht sagt: „Ich bin da, ich bin bei dir. Selbst im Tod verlasse ich dich nicht!“

Oder lassen Sie mich mit dem bekanntesten Patienten der Psychiatrie antworten, mit dem Jubilar, Friedrich Hölderlin, der zu Karfreitag – ich habe das neulich erst entdeckt – die sehr treffenden Gedichtzeilen verfasst hat:

Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen ging er,
Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin.
Keines der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen,
Und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust.
Mit dem Tod befreundet' er sich, im Namen der andern
Ging er aus Schmerzen und Müh siegreich zum Vater zurück.

Rittberger-Klas:
Hölderlin – auch zum Karfreitag... Ich habe den Eindruck, in diesen Wochen sind ja nicht nur die Menschen, die als Patienten im Krankenhaus liegen, in einer Ausnahmesituation. In gewisser Weise ist das ganze Land im Krisenmodus, ganz besonders aber alle, die im medizinischen Bereich tätig sind. Wie erleben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen das in der Klinik?

Schmid:
Dass Patienten keinen Besuch von ihrer Familie und von Freunden bekommen können, das ist eine sehr große Belastung. Wenn man krank ist, wünscht man sich die Nähe seiner Liebsten und nur behelfsweise kann das überbrückt werden durch Telefon oder Videoschaltung. Es bleibt aber keine andere Alternative. Wir Krankenhausseelsorger müssen auf Gottesdienst im Radio, im Internet, im Fernsehen verweisen, verteilen einen Ostergruß, eine Meditation und ein Gebet, in schriftlicher Form, und stehen den Patienten zur Seite, soweit es uns möglich ist. Das hat eine Doppeldeutigkeit, „soweit“: Die Hilflosigkeit mit auszuhalten, und dennoch nicht in einer Lähmung zu erstarren, ist keine leichte, aber eine gebotene Aufgabe. Aber ich bin überzeugt, dass Gebet und Segen auch eine räumliche Trennung überwinden.

Wir sind in diesen Tagen auch besonders für Mitarbeitende in der Pflege, für Ärztinnen und Ärzte und andere im Krankenhaus arbeitende Menschen da, stehen mit Gesprächsangeboten, Ritualen zur Seite, um die enorme Belastung auszuhalten, dass sie ausgesprochen werden kann.

Rittberger-Klas:
Sie haben das vorhin ja schon angesprochen: In der christlichen Tradition ist der Karfreitag ja nicht abgekoppelt von Ostern zu verstehen, nicht abgekoppelt von der Erfahrung von Leben, von Auferstehung, von neuem Leben. Insofern ist die Leidensgeschichte Jesu auch Teil einer Hoffnungsgeschichte. Gibt es für Sie eine Bibelstelle, die das besonders gut zum Ausdruck bringt?

Schmid:
Vielleicht kein typisches Karfreitagswort des Apostels Paulus, aber für mich spricht es gerade in diesen Tagen sehr deutlich: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13,12)

Und weil wir, wie sie schon sagten, den dunklen Karfreitag nur im Licht von Ostern feiern können, lassen Sie mich meinen eigenen Konfirmandenspruch noch zitieren, auch von Paulus, aus dem Römerbrief: „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben.“ (Römer 15,13)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30716
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