SWR3 Gedanken

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29MRZ2020
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Bis vor kurzem hab ich mich gefreut, dass ich eines der begehrtesten Dokumente der Welt besitze. Meinen dunkelroten Reisepass. Weil er mir, falls ich das will, die Grenzen von 189 Ländern dieser Erde öffnet. Nur den Bürgern aus Japan und Singapur stehen noch ein paar mehr Länder offen.

Doch jetzt, wo fast überall die Grenzen dicht sind, nützt mir mein kostbarer Reisepass für erste nicht mehr viel. Das wertvolle Dokument ist mit einem Schlag ziemlich wertlos geworden. Das ist genau die Erfahrung, die Menschen machen, deren Pass sich am unteren Ende dieser Rangliste wiederfindet. Die geringste Reisefreiheit genießen nämlich die Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Ihr Pass ist auch sonst kaum etwas wert. Zufall ist das nicht.

Natürlich gibt es gute Gründe, dass die Grenzen auch für Menschen wie mich gerade dicht sind. Und sie vermitteln mir zumindest ein vages Gefühl davon, wie es all den Flüchtlingen gehen muss, die schon so lange vor dichten Grenzen stehen und nun noch weniger Chancen haben, hindurch zu kommen. Ihre Situation hat sich nochmal dramatisch verschlimmert, denn wir haben hier jetzt andere Sorgen.

Auch wenn das menschlich verständlich sein mag, aus dem Blick verlieren möchte ich diese Menschen in Not trotzdem nicht. Denn bei allen Einschränkungen und Ängsten im Moment genügt ein kurzer Blick über meinen Tellerrand, nach Norditalien etwa oder auf die Insel Lesbos, um zu wissen: Es geht mir hier trotz allem noch vergleichsweise gut.

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