SWR2 Wort zum Tag

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27MRZ2020
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„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst“ – sagt ein anonymer Beter des Psalms 8 in der Bibel. Der vergleichsweise kurze Psalm ist eine kleine Ode des Staunens über die wunderbaren Schöpfungswerke Gottes, zu denen auch der Mensch gehört: Welt und Mensch sind Wunder Gottes.

Doch der achte Psalm enthält auch noch andere Aussagen über den Menschen; zum Beispiel spricht er von der beherrschenden Stellung des Menschen im Kosmos der Natur. Der Mensch ist auch ein „Herrschaftswesen“, ein König, und Könige werden – gerade im Alten Testament – ziemlich ambivalent beurteilt.

Der Mensch hat es gelernt, sich die Natur zu unterwerfen. Im aktuellen Kampf gegen den Corona-Virus sehen wir, wie wichtig dies für sein Überleben ist. Doch nicht immer übt der Mensch seine Macht im Einklang und zum Wohle der Schöpfung aus, geschweige denn zu ihrem Segen. Der Mensch beutet die Natur auch gnadenlos aus. Die Aussagen aus Psalm 8 haben zumindest etwas Schillerndes.

Diese so zeitgenössisch anmutende Einsicht kannten auch andere Autoren der Antike, Sophokles etwa in seinem Drama „Antigone“. Dort tritt zu Beginn des zweiten Akts ein Chor weiser Männer auf, die viel gesehen und erfahren haben und sich ihren Reim machen auf das Menschengeschlecht:

„Ungeheuer ist viel. Doch nichts ist ungeheurer als der Mensch…“ So hebt der Chorgesang an, und dann folgen eine ganze Reihe von Beispielen für die ungeheure Schaffenskraft und Macht des Menschen über die Natur: über den Ackerboden, über das Meer, über die wilden Tiere… ganz ähnlich wie in Psalm 8.

Nicht zu vergessen: es sind Menschen, die hier sprechen, die also über ihre eigene Macht staunen, aber auch über sie erschrecken und sie hinterfragen und bewerten. Bei Sophokles bleibt die Frage nach der Ungeheuerlichkeit des Menschen und seines Tuns in der Schwebe. Es ist nicht so recht zu erkennen, was daraus folgt.

Der Beter des Psalms 8 weiß sich immerhin an Gott den Schöpfer verwiesen, ihm gegenüber verantwortlich. Auch nach einer – hoffentlich bald überstandenen – Corona-Pandemie ist es die Aufgabe des Menschen, die Schöpfung zu bewahren und sein Wissen nicht nur zum eigenen Wohl, sondern auch zum Wohl der Natur und Mitwelt einzusetzen. Gerade dann!

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