SWR4 Abendgedanken

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02APR2020
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Vor fast genau sieben Jahren ist es passiert: Jorge Mario Bergoglio tritt als neu gewählter Papst Franziskus zum ersten Mal auf den Balkon über dem Petersplatz. Und er lächelt dabei. Diese Bilder des freundlichen älteren Herrn sind bei Vielen gut angekommen. Aber die Priester in Buenos Aires haben sie fassungslos gemacht. Denn sie haben ihren ehemaligen Bischof nicht wieder erkannt: Bergoglio hatte niemals gelacht. Sein Leben lang war er ein griesgrämiger Intellektueller mit mürrischer Miene. Und jetzt das: ein strahlender Mann, der den Menschenmassen zuwinkt. Sie haben ihren Augen nicht getraut. 2015 haben diese Priester ihrem ehemaligen Chef einen Brief geschrieben. Und ihm folgende Frage gestellt: „Warum hast Du uns 20 Jahre lang Dein Lächeln verwehrt?“

Ich war beeindruckt, als ich von dieser Verwandlung gehört habe. Ein Vatikan-Journalist hat es so erklärt: Jorge Mario Bergoglio ist klar gewesen, dass ein neuer Papst stark sein muss; damit er den Kampf im Inneren der Kirche aufnehmen kann. Und einen freundlichen Papst zu stärken ist leichter, als einen Griesgram. Franziskus hat all seine verschüttete Freude hervorgeholt – und vom ersten Moment an auf dem Balkon über dem Petersplatz sind die Sympathien der Menschen auf seiner Seite gewesen.
Ich habe mich gefragt, ob ich da vielleicht Franziskus ähnlich sein könnte? Steckt in mir auch etwas, das noch verborgen ist? Kann ich anders? Gibt es etwas, das ichmeinen Mitmenschen verwehre? Ja, ich wäre tatsächlich manchmal gerne ein bisschen anders. Einfach positiver, gelassener. Eigentlich würde auch ich gerne mehr lächeln. Nicht so oft meckern und zetern mit mir und meiner Familie. Über die Jahre habe ich es mir bequem gemacht in meinem Leben; im wahrsten Sinne des Wortes: Lieber Sofa und Kuchen als Bewegung und frische Luft. Mir fehlt es an Ausgleich und Balance, das spüre ich. Und wohl auch deshalb bin ich schnell genervt und schimpfe. Zu Beginn der Fastenzeit habe ich einen Entschluss gefasst: Körper und Geist brauchen frischen Wind.
Ich habe mir ein neues Fahrrad gekauft, das war schon lange mein Wunsch. Und jetzt fahre ich. Seit Aschermittwoch zweimal in der Woche. Und wenn es nur eine Viertelstunde ist. Ich verzichte auf Kuchen und Sofa an diesen Tagen. Es tut mir gut! Und: Was der Papst mit seinen 76 Jahren geschafft hat, das muss ich wenigstens versuchen: Wer zur Tür hereinkommt, der bekommt erstmal ein Lächeln. Ich bin überrascht: Das geht viel leichter als ich dachte.
Von Franziskus heißt es übrigens: im engsten Kreis ist er ab und an wieder der missmutige und verschlossene Priester. Das beruhigt mich. Denn auch ich werde sicher nicht ganz ohne zetern und schimpfen auskommen – aber am Anfang sollen das Lächeln und die Freude stehen.

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