Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20MRZ2020
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Manchmal nehme ich mir ein paar Tage frei, um zu schweigen. Klingt vielleicht merkwürdig, aber mir tut diese Übung gut. Für mich ist das wie Entschlacken. Nur geht es dabei um mein Seelenleben. Ich will klären, was für mich gut und wichtig ist, und anderes ablegen. Also fahre ich drei oder vier Tage weg, wohne bei einer christlichen Schwesternschaft und außer dem Vaterunser bei den Gebetszeiten sage ich nichts. Fernseher, PC und Handy sind tabu, lesen soll man auch nicht. Höchstens in der Bibel, etwas Heilsames. Aber auch das nur ganz wenig. Komplett runterfahren ist angesagt. Auch beim gemeinsamen Essen schweigen wir. Daheim bin ich nicht dafür bekannt, wenig zu reden. Deshalb kichern um mich rum schon alle, wenn ich das ankündige: „Ich fahr wieder ins Schweigen!“

Und wirklich: Am Anfang ist das immer unglaublich anstrengend. Denn wenn alles um mich herum ruhig ist, merke ich erst, wie laut es in mir ist. Ich habe mal gelesen, dass Menschen ungefähr 60.000 Gedanken am Tag denken. Wenn ich anfange zu schweigen, flitzen von diesen 60.000 Gedanken geschätzt 59.000 durch meinen Kopf. Die laute Welt da draußen hallt in mir nach. Und wenn ich meine, jetzt wird es besser, dann fällt mir bestimmt etwas ein, was ich unbedingt erledigen muss. Das ist, wie wenn dieser Gedanke neben mir steht und mich die ganze Zeit am Ärmel zupft. Oder mir fällt ein, wie mich dieser eine Schnösel neulich dumm angegangen ist. Hab ich mich geärgert! Nach ein paar Minuten merke ich: ich ärger mich gerade immer noch. Die ganze Zeit. Wenn meine Gedanken hörbar wären, wäre das jetzt richtig laut geworden in meiner kleinen Kammer. Von wegen Stille…

Die Schwester, die jeden Tag ein paar Impulse gibt, scheint das mit den vielen Gedanken zu kennen. Sie hat einen schlichten Rat. Wenn Du einen Gedanken nicht gleich los wirst, dann drück ihn nicht weg. Der kommt garantiert wieder. Sag ihm „Guten Tag. Ich habe registriert, dass du da bist. Und jetzt verabschiede ich dich, du Gedanke. Geh!“ Ich habe das probiert und festgestellt: Das klappt. Nicht immer und nicht immer sofort, aber ich übe.

Daheim angekommen, übe ich weiter. Das hilft mir, mich nicht so leicht in Unruhe versetzen zu lassen. Und für mich zu klären, welchen meiner 60.000 Gedanken ich meine Aufmerksamkeit schenken will und welchen nicht. …

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