Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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13MRZ2020
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Letztes Jahr im Herbst ist meine Mutter gestorben. Die Anzeichen dafür habe ich Monate vorher schon bemerkt. Sie hat abgenommen, die Zeiten zwischen ihren Krankheitsphasen sind immer kürzer geworden. Sie war 87 Jahre alt. Den Zeitpunkt ihres Todes hätte aber keiner nennen können. Erst vier Tage vor ihrem letzten Atemzug war klar, dass sie im Sterben lag. 

Ich selbst hatte bis dahin keine Erfahrungen mit dem Sterben. Jetzt habe ich erlebt: Sterben gehört zum Leben dazu. Und, das Sterben eines Menschen kann auch gnädig sein. Meine Mutter war bis zuletzt geistig ganz wach. Jeden Tag hat sie sagen können, wie froh sie war, dass sie zuhause in ihrem Bett sein durfte. In den letzten drei Tagen hat sie ihre Augen kaum mehr geöffnet, auch nicht mehr viel gesprochen. Mir ist es so vorgekommen als hätte sie sich in der Ewigkeit einen Platz gesucht. Immer wieder ist sie von weit her zurückgekommen, hat auch gekämpft. Bis sie entschieden ihren rechten Zeigefinger nach vorne streckte und laut und deutlich gesagt hat: Da, da, da. So als würde sie mir zeigen, dass sie einen guten Platz für sich gefunden hat. Danach ist sie ganz ruhig geworden und vier Stunden später friedlich eingeschlafen. Ich habe keinen Zweifel mehr, dass ihr Leben in einer anderen Dimension weitergeht. 

Wenn ich an die letzten Tage im Leben meiner Mutter denke, bin ich immer noch überrascht. Ich habe ihr Sterben keineswegs schrecklich erlebt. Ich habe keine Angst bekommen und war auch nicht nur traurig. Intensiv, unvergleichlich mit allem was ich bisher erlebt habe war, wie meine Mutter sich verabschiedet hat. Nichts war für mich wichtiger in diesen Tagen. Ich bin bis heute berührt, wie selbstverständlich ich gewusst habe, was ich tun muss. Auch in den Stunden danach habe ich sie immer wieder gestreichelt und mit ihr gesprochen. Bin bei ihr gesessen und habe auch gespürt, dass sie erlöst ist. Meine tote Mutter war mir ebenso vertraut wie im Leben.

Ich weiß, dass es auch ganz andere Sterbeprozesse gibt. Die alles andere als gnädig sind.

Das Sterben meiner Mutter war gnädig. Ein großer Verlust und ein Geschenk. Sterben und Tod sind für mich vertrauter und selbstverständlicher. Und: Mein Glaube an ein Leben nach dem Tod ist gestärkt.

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