Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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10MRZ2020
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Eine Frau war gründlich aus der Spur geraten. Mehrere Jahre hat sie ihren Mann betrogen. Hat ein Doppelleben geführt, von dem nur ihre beste Freundin gewusst hat. Bis eines Tages alles aufgeflogen ist. Das war schlimm. Für den Ehemann, weil er sich verraten gefühlt hat. Für die Frau, weil sie viele Jahre mit einer großen Lüge gelebt hat. Weil sie ihren Mann verletzt hat. Und weil sie sich selbst nicht verstanden hat. Sie hat sich geschämt. Und sie hat Angst gehabt. Von anderen verurteilt zu werden. Moralisch in die Ecke der schlechten Menschen gestellt zu werden. Sie hat Hilfe gesucht und in einer Psychologischen Beratungsstelle gefunden. Mit Herzklopfen ist sie dort im Wartezimmer gesessen.

Nichts von dem, was sie befürchtet hat, ist eingetroffen. Der Mann, dem sie ihre Geschichte erzählt, hat zugehört und mit ihr überlegt, was in ihrem Leben passiert ist, dass es so weit kommen konnte. Ohne sie und ihr Verhalten zu bewerten. Er hat sie angenommen wie sie war. Einfühlsam und verständnisvoll. Ich habe nie vergessen, wie die Frau davon erzählt hat. Die Erleichterung war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Der Therapeut hat mit ihr nach den Gründen für ihre Untreue gesucht und sie eben nicht an den Pranger gestellt. 

Zum ersten Mal hat sie einen Menschen getroffen, der sich so verhalten hat, wie sie Jesus aus biblischen Geschichten kannte. Einen Menschen, der nachfragt, der verstehen will und erst einmal niemanden abstempelt, niemanden verurteilt. Einen, der davon ausgeht, dass jeder ein guter Mensch sein will. Und immer Gründe hat, wenn er es nicht sein kann. 

Der Besuch in der Beratungsstelle war wegweisend für die Frau. Durch die Gespräche dort hat sie allmählich verstanden, warum sie ihrem Mann untreu geworden war. Das ist ihr nie wieder passiert. Aber vor allem war sie fasziniert davon, wie würdevoll der Berater sie behandelt hat, obwohl sie sich unwürdig verhalten hat. Das hat ihr viel Kraft gegeben, den Scherbenhaufen aufzuräumen, den sie hinterlassen hat. Und so viel Hoffnung, dass ihr Leben trotzdem gut weitergehen kann. Außerdem hat sie gelernt, selbst auch mit anderen Menschen vorsichtiger zu sein. Erstmal niemanden abzustempeln, in eine Schublade zu stecken und zu verurteilen. Sie hat gelernt, nachzufragen und zu verstehen. Mitfühlend zu sein mit ihrem eigenen Fehlverhalten und dem von anderen.

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