SWR2 Wort zum Tag

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09MRZ2020
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Tu deinen Mund auf für die Anderen. Unter diesem Thema steht in diesem Jahr die „Woche der Brüderlichkeit“ der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Gestern hat sie begonnen hat. An vielen Orten finden in dieser Woche Veranstaltungen statt, die den christlich-jüdischen Dialog fördern und sich gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung einsetzen.

Tu deinen Mund auf für die Anderen – auf dem Hintergrund der rechtsradikalen und antisemitischen Gewalttaten der letzten Monate ist dieses Motto auf traurige Weise aktuell. Mach den Mund auf, schweige nicht, wenn Unterstellungen im Raum stehen, wenn andere ausgegrenzt, beleidigt oder angegriffen werden: Gott sei Dank gibt es unserer Gesellschaft weiterhin viele Menschen, die nach diesem Motto handeln. Die demonstrieren, die Kerzen anzünden, Solidarität mit den Opfern zeigen – nach den Anschlägen in Hanau ist das wieder auf eindrucksvolle Weise deutlich geworden.

Tu deinen Mund auf für die Anderen – das Motto der „Woche der Brüderlichkeit“ hat einen biblischen Hintergrund. „Tu deinen Mund auf für die Stummen“ (Sprüche 31,8), so heißt es im Buch der Sprichwörter. In diesem Kapitel sind Weisungen für die Erziehung des künftigen Königs zusammengestellt. Ein angehender Herrscher wird unterwiesen, wie er später als gerechter König regieren soll. „Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen!“, so lautet der folgende Vers.

Wer eine Stimme hat, wer Einfluss hat und etwas bewegen kann, der soll sich für die einsetzen, die dazu selbst keine Möglichkeit haben, so verstehe ich die biblische Mahnung. Die spannende Frage dabei ist natürlich: habe ich denn Einfluss? Kann ich etwas bewegen? Ich habe das Gefühl, dass viele Leute diese Frage heute mit „Nein“ beantworten – und den Einsatz für die Anderen, wie der biblische Hintergrund nahelegt, den vermeintlich „Mächtigen“ überlassen.

Ich glaube dagegen: Es gibt diese Momente, in denen jeder und jede von uns eine Stimme hat. Wenn Kinder im Bus „du Jude“ als Schimpfwort gebrauchen. Wenn beim Familienfest allgemein auf „die Flüchtlinge“ geschimpft wird. Wenn Parteien in der Fußgängerzone Flyer mit fremdenfeindlichen Parolen verteilen. Dann bin ich gefragt – und dann sind auch Sie gefragt. Wie die Reaktion aussieht, wird bei jeder und jedem anders aussehen – von der kritischen Nachfrage bis zur vollen Konfrontation ist vieles möglich. Nur Schweigen ist, glaube ich, keine Option. Denn es gilt, den Mund aufzumachen für die Anderen. Für diejenigen, die sich in dem Moment nicht wehren können. Da sind wir gefragt – schon allein deshalb, weil auch wir einmal „die Anderen“ sein könnten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30479
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