SWR1 3vor8

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16FEB2020
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Bärbel Kofler ist die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Auf ihrem Schreibtisch landen Akten aus der aller Welt. In den Akten ist dokumentiert, wie Menschen erniedrigt werden und verfolgt, gefoltert und verstümmelt. Manche wegen ihres Glaubens, manche, weil sie Fremde sind in ihrem Land, manche, weil sie ihre Meinung offen gesagt haben. Mir reicht, was in der Zeitung steht. Sie aber muss sich da durchwühlen. Sie muss überlegen, wie man den Menschen helfen kann. Was sie der Bundesregierung raten könnte, wo sie mehr stille Diplomatie und wo sie deutlichen öffentlichen Einspruch für richtig hält. Viel Macht hat die Menschenrechtsbeauftragte nicht.

Gerne würde ich Frau Kofler fragen, wie hält sie das aus?

Heute wird in den evangelischen Gottesdiensten von einem Mann erzählt, dem eine Schriftrolle vorgelegt wird voller Klage, Weh und Ach, wie es wörtlich heißt. Diese Schriftrolle ist doppelseitig beschrieben. Klage, Weh und Ach - was für ein besonderes Dokument! Eine heilige Schrift in Gottes Ohr.

Ezechiel heißt der Mann. Er erhält den Auftrag, diese Schriftrolle zu essen. Lesen reicht nicht. Er soll sie essen, genauer, sie wird ihm zu essen gereicht, gefüttert. Diese drastische Vorstellung stößt mich ab. Aber dieser Mann verleibt sich die Schriftrolle ein, nimmt sie ganz in sich auf - in seinen Körper, sein Denken und Fühlen und Handeln. Er wird sich Klage, Weh und Ach nie mehr vom Leibe halten können. Sie sind in ihm drin.

Ezechiel wird losgeschickt, zu Menschen zu sprechen. Gott gibt ihm auf den Weg, sich nicht vor den Menschen zu fürchten, nicht vor ihren verletzenden Worten und nicht vor ihren hassverzerrten Gesichtern. Dabei müsste ja einem, der diese Schriftrolle gegessen hat, gründlich angst und bange geworden sein. Er hat ja in Kopf und Herz, was Menschen anderen antun können. Aber Weh und Ach muss trotzdem einmal gesagt sein. Die Menschen sollen wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist. Einer, der in Gottes Namen redet. Einer, der in Gottes Namen das Weh und Ach beim Namen nennt.

Und das gibt mir zu denken, denn das ist wahr, glaube ich. Propheten sind unter uns und sind es immer gewesen. Menschen, die mehr sagen als ihre Meinung. Menschen, die den Widerspruch nicht fürchten, und deren Worte unter die Haut gehen. Ich glaube, dass unsere Welt auf solche Menschen unbedingt angewiesen ist. Sie helfen, dass wir berührbar bleiben, einfühlsam und solidarisch. Damit Frau Kofler Mitstreiter hat bei ihrem Einsatz für die Menschenrechte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30361
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