SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

17FEB2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Vor zwei Wochen in Berlin in der U-Bahn: An einer Station sind zwei dunkelhäutige Männer eingestiegen und haben mir gegenüber Platz genommen. Mit Bierdosen in der Hand und lauter Musik aus einem ihrer Handys. Ziemlich schnell habe ich mich unwillkürlich verkrampft und den Rucksack auf meinem Schoß fester gehalten. Als ich später ausgestiegen bin, ist mir bewusst geworden was geschehen war. Ich hatte Angst überfallen zu werden. Hätte ich diese Angst auch bei zwei hellhäutigen Studenten gehabt? Ich glaube nicht. Ich hatte Angst, weil die beiden Männer dunkle Haut hatten und eine fremde Sprache. Als mir das klar war schämte ich mich. Ich, der gut gebildete, weltoffene Theologe. Ich, der ich mich für Flüchtlinge einsetze. Ich, der ich mich für so tolerant halte. Ich bin auch nicht anders als all die ganzen Nationalisten, denen ich mich doch moralisch so überlegen fühle.

Ich hatte mich ertappt. All die Voreingenommenheiten, die unsere Welt vergiften, leben auch in mir. Ich bin also nicht frei von dem ganzen Unsinn, den ich doch eigentlich verurteile. Das war niederschmetternd. Ja, ich war enttäuscht von mir. Aber ich war auch froh, dass ich es erkannt habe. Offensichtlich bin ich nicht so gut und rein, wie ich hoffe. Ich werde meinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Das ist so. Immer wieder. Aber wenn ich das erkenne und es mir bewusst mache, dann kann ich damit umgehen.

Ich habe aus einem Vorurteil heraus reagiert: Alle dunkelhäutigen jungen Männer sind potentielle Verbrecher. Obwohl ich weiß, dass pauschale Urteile über Menschengruppen nie zutreffen. Ich kann mich also selbst korrigieren und entscheiden aus welchen Überzeugungen und Gefühlen ich handle. Ich bin kein schlechter oder falscher Mensch, weil ich manchmal schlechte Gefühle oder Gedanken habe. Entscheidend ist, wie ich mit diesen Gefühlen und Gedanken umgehe. Diese Auseinandersetzung mit mir selbst ist anstrengend und kostet Kraft. Aber sie ist meine Aufgabe, sie ist die Verantwortung, die ich trage, wenn Zusammenleben gelingen soll. Und in letzter Konsequenz muss ich mich auch fragen wie pauschal mein eigenes Urteil über die erwähnten Nationalisten ist. Wenn ich in allen Nazis sehe, dann trifft das sicher auch nicht den Kern. Es ist schwer gerecht zu sein, aber ich will es weiter versuchen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30326
weiterlesen...