SWR2 Wort zum Tag

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18FEB2020
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Ich fahre einen alten Diesel. Alle Gründe der Vernunft sprechen dafür mich von diesem Auto zu trennen. Kein Abgasmanipulationssystem könnte es noch durch irgendeinen Test bringen. Die Nase genügt, um festzustellen, dass es nie wieder eine Großstadt von innen sehen wird. Das ist mir bewusst. Aber ich habe meine Strategien mir einzureden, dass das Auto schon noch in Ordnung ist. Ich fliege ja nie, mache keine Kreuzfahrten, fahre nur, wenn es unbedingt nötig ist. Also gleicht es sich schon irgendwie aus. Natürlich weiß ich, dass das Blödsinn ist. Als hätte ich ein gewisses Pensum an Luftverschmutzung, das mir zusteht. In Wirklichkeit gibt es keine Argumente dafür, um damit weiter zu fahren.

Das Problem ist folgendes: Das Auto hat schon 400 000 Kilometer auf dem Buckel. Es war mir immer treu. In schlechteren Zeiten habe ich sogar eine Weile darin gewohnt. Ich bin damit an sehr schöne Orte gefahren, habe darin wundervolle Mädchen geküsst. Ja, ich muss es sagen: Ich liebe dieses Auto. Es hat es einfach nicht verdient verschrottet zu werden, nur weil es nicht mehr zeitgemäß ist. Dass der nächste TÜV Termin näher rückt, verdränge ich.

So geht es mir mit einigen Dingen. Ich werde bald 40, aber noch immer sitzen Stofftiere auf meinem Sessel. Ich habe Klamotten, die beim Anziehen zu zerfallen drohen, aber ich ziehe sie immer wieder an. Da steckt zu viel von mir drin. Ich habe vielen Dingen also eine Seele gegeben. Ich halte an ihnen fest. Sie sind Brücken zu meiner Geschichte, meiner Person, meinem Leben.

Nicht nur die christliche, wahrscheinlich sagen alle Religionen, man soll sein Herz nicht an das Materielle, sondern an Gott binden. Das macht freier, das sehe ich ein. Und es hat auch immer wieder Zeiten gegeben, da habe ich es probiert, habe von vielem losgelassen. Aber bei ein paar Sachen ging das eben nicht. Und das ist auch nicht schlimm. Ich bin entspannter geworden. Der liebe Gott wird so ein bisschen Konkurrenz schon aushalten. Wahrscheinlich werde ich in meiner alten Cordhose beerdigt und mein Plüschnilpferd wird mir in den Sarg gelegt. Das ist (doch) ok. Beim Auto, das sehe ich ein, da muss ich handeln. Das wird schwer, aber ich verspreche es. Denn da geht es nicht nur um mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30325
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