SWR2 Wort zum Tag

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10FEB2020
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Es lohnt sich, von Meistern zu lernen. Das habe ich schon bei meinem ersten Opernbesuch vermittelt bekommen. Ich war acht Jahre alt und meine Mutter fand, dass Richard Wagner zu schwere Kost für mich sei und Mozarts Cosi fan tutte zu frivol. So betrat ich erwartungsvollen Schrittes den Musentempel, um meine Einführung in die Welt der Oper mit einem veritablen Fall von Industriespionage zu feiern: „Zar und Zimmermann“ von Lortzing. Peter der Große reist inkognito nach Holland, um das Geheimnis des Schiffbaus zu erkunden. Das Erlebnis hat mich damals nicht zum Fan der leichten Oper werden lassen, behalten habe ich mir aber die erklärenden Worte meiner Mutter, dass man eine Zeitlang bei Meistern in die Lehre gegangen sein muss und genau hinschauen sollte, was ihre Kunst ausmache. Solches Tun stünde nicht nur einem Zaren gut an, sondern auch Normalsterblichen.

Später als Pfarrerin habe ich einen Mann kennengelernt, dessen große Begabung es war, sich von Könnern ihres Fachs viel abzuschauen. So wurde er, ein Kind aus einfachen Verhältnissen, ein erfolgreicher Geschäftsmann, ausgezeichneter Golfspieler und bundesweit bekannter Fassenachter, der für seine genaue Beobachtung der politischen Gegenwart berühmt war. Sein Tod löste überregional Trauer aus. Die Menschen haben gespürt, dass es eine besondere Kunst ist, genau hinzuschauen und wahrzunehmen. Von diesem Mann habe ich auch gelernt, dass es sich lohnt, von Meistern zu lernen. Selbst sein Golfspiel hatte er sich so beigebracht.

Die Kunst der Wahrnehmung ist für mich eine zentrale Lebenskunst. Was wäre die Kirche ohne die Jüngerinnen und Jünger, die genau zugehört und zugesehen haben, was ihr Meister während seines Lebens tat und sagte – und die sich dann auch zugetraut haben, das Gehörte und Gesagte selbst umzusetzen – auch wenn sie nicht immer sofort Erfolg hatten. Auch dies wird in der Bibel geschildert, dass die Jünger zunächst enttäuscht sind, weil sie eben nicht sofort heilen können wie Jesus selbst. Die Kunst der Wahrnehmung ist ohne Frustrationstoleranz nicht wirklich nachhaltig. So ermutigt Jesus auch seine Jüngerinnen und Jünger und öffnet ihnen die Augen für ihre Fähigkeiten: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt!

Im Laufe meines Lebens habe ich genau hingesehen, wenn ich Meister ihres Fachs entdeckt habe – oder Meisterinnen! Von meiner Mutter, einer hochbegabten Lehrerin, habe ich mir viel für meine Lehrtätigkeit abgeschaut. Ein Jesuit hat mir beigebracht, wie man in der Stille beten kann. Meine Großmutter konnte wunderbar kochen. Von meinem Kind habe ich gelernt, wie man Glauben in leichte Sprache fasst. Und von Jesus, wie man kurz und trotzdem prägnant predigen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30283
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