SWR1 Begegnungen

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Manchmal ist es kein Spaß, wenn man es mit Jugendlichen zu tun hat. Als Vater weiß ich das, auch aus eigener Erfahrung. Umso mehr hat mich erstaunt, was Bernd Klippstein sagt. Er begegnet regelmäßig Jugendlichen, die straffällig geworden sind. In seinem Beruf als Jugendstaatsanwalt.

Also ich bin ganz entschieden Staatsanwalt geworden, da gibt es nicht so viele, die das entschieden machen wollen, aber für mich ist das das Richtige, für mich ist das der Traumjob.


Teil 1
Richter- Verteidiger- Staatsanwalt. Was wären Sie lieber im Gerichtssaal? Ich habe mich das gefragt, auf dem Weg nach Freiburg zu Bernd Klippstein. Ich gebe zu, Staatsanwalt wäre nicht meine erste Wahl. Aber vielleicht liegt das auch nur an dem Bild, das man so hat, aus Filmen. Jedenfalls war ich neugierig auf den Staatsanwalt Bernd Klippstein und warum er sich dafür entschieden hat.

Die Richtertätigkeit war dann so, dass mir da der Kontakt gefehlt hat zu den Menschen, mit denen man da zu tun haben kann. Da hat man als Staatsanwalt deutlich mehr mit dem Leben zu tun, mit Polizeibeamten, mit Zeugen, mit Beschuldigten.

Erstaunlich. Aber er muss wissen, wovon er redet. Er ist kein heuriger Hase mehr. Die 50 hat er hinter sich. Und 22 Berufsjahre. 2 als Richter, fast 20 als Staatsanwalt. Die letzten 6 Jahre speziell für Jugendliche. Ich kann mir das gut vorstellen, dass er das richtige Alter dafür hat. Ruhe strahlt er aus und standfeste Autorität. Aber auch Neugierde und Offenheit, gerade auch für Jugendliche. Entsprechend versteht Bernd Klippstein sein Amt. Ein Staatsanwalt hat für ihn „soziale Gestaltungsmöglichkeiten“.

Ich kann Schwerpunkte setzen bei den Ermittlungen, ich kann mich unterschiedlich stark um die Menschen kümmern, ob das jetzt Beschuldigte oder Opfer sind oder Zeugen. Und da kann ich auch mein ehrenamtliches Engagement einbringen: Ich habe ja nun lange Jahre in der Verbandsjugendarbeit gearbeitet, bin in der Jugendhilfe erfahren, kenn die sozialen Einrichtungen hier in Freiburg und Umgebung.

Bernd Klippstein kommt aus der evangelischen Jugendarbeit. Hat sich auch als Erwachsener immer engagiert, in der Jugendpolitik, für Jugendschutz in Medien usw. Und diese christlichen Wurzeln prägen ihn auch im Beruf. Er will Täter verstehen, Hintergründe. Sein christliches Menschenbild bringt ihn dazu.
Es gibt nur ganz ganz wenige, wo dann man wirklich sagen kann, da hat man jetzt wirklich kein Verständnis dafür. Aber bei den meisten sieht man doch auch ihre persönlichen Schwierigkeiten, die sie dahin gebracht haben, wo sie jetzt sind und da geht man dann auch anders auf die Menschen zu.

Ein Strafverfahren soll den Beteiligten leben helfen. Strafe ist darum kein Selbstzweck.

Es muss Strafe stattfinden, Schuldausgleich, Sühne, aber eben auch und vor allem die Maßnahmen, die zur Erziehung dienen.

Wichtig ist ihm aber auch, dass die Opfer nicht übersehen werden. Auch wenn im Strafverfahren Täter im Vordergrund stehen. Auch dies ein Gedanke, der schon in der Bibel stark gemacht wird, auch im Alten Testament. Ausgleich, Wiedergutmachung für die Opfer. Im Gerichtssaal schafft man das kaum, es entlastet ihn darum, dass es in Freiburg Mediatoren gibt, die versuchen, einen Ausgleich zwischen Opfer und Täter zu fördern.

Wenn man dem Opfer die Angst nimmt, indem man ihm im Gegenüber mit dem Täter zeigt, dass er hier nur „zufällig“ Opfer geworden ist, dann gewinnt der Sicherheit. Und wenn sich Täter und Opfer auf den Täter-Opfer- Ausgleich einlassen könnten, dann geht es in den allermeisten Fällen gut, dann haben beide Seiten was davon, also nicht nur der Täter.

Teil 2
Ich gebe zu, die Diskussionen der letzten Wochen sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen: Gibt es mehr jugendliche Straftaten oder wird nur mehr berichtet und angezeigt? Wie sieht das einer, der seit 6 Jahren Jugendstaatsanwalt ist. Bernd Klippstein ist zurückhaltend mit einem endgültigen Urteil.

Es führen verschiedene Faktoren dazu, dass die angezeigte Kriminalität gewachsen ist. Für mich persönlich ist keineswegs so, dass hier irgendwo eine Besorgnis erregende Entwicklung stattfindet.

Manche meinen auch, dass die Gewaltausbrüche heute heftiger sind als vor einiger Zeit. Wie sieht er das?
Die Qualität ist schwer einzuschätzen, aber ich verstehe den Eindruck und ich habe den selbst auch manchmal, dass es tatsächlich so ist, dass die Qualität zugenommen hat.

Aber sogar wenn dieser Eindruck richtig wäre, das Ziel in einem Strafverfahren für Jugendliche ist und bleibt für den Christen Bernd Klippstein: Erziehung.

Das Hauptziel ist ganz klar, beizutragen mit den beschränkten Mitteln des Strafrechts, dass derjenige nicht mehr straffällig wird oder in der nächsten Stufe keine so schweren Straftaten mehr begeht.

Die Mittel des Strafrechts hält der Staatsanwalt für „beschränkt“. Hofft aber, dass die Maßnahmen, die er für einen Straftäter beantragt, wie zB. Arbeitsstunden, Antigewalttraining, Betreuungshilfe, dass die die Jugendlichen dazu bringen, sich mit sich und ihrem Leben auseinander zu setzen.

Aber das Eigentliche ist, dass – jedenfalls die meisten, die ich jetzt so vor Augen habe – eigentlich Hilfe brauchen, um das Leben zu bewältigen, dass man denen zeigt wie es jetzt weitergeht. Den Alltag, ihren Schulbesuch, ihre Ausbildung zu bewältigen und da sind es eigentlich Jugendhilfemaßnahmen, die erforderlich sind.

Eine Chance zum Leben geben. Letztlich sind es aber nicht die Maßnahmen, die jungen Straftätern helfen, dass ihr Leben gelingt. Für entscheidend und Erfolg versprechend hält er Menschen:

Persönliche, personale Zuwendung. Menschen, die für die da sind, sich um sie kümmern, ihnen auch sagen, was von ihnen verlangt wird, sie anleiten und ihnen dabei helfen. Und das ist oft heute das Elternhaus nicht mehr.

Erziehungsschwäche ist weit verbreitet. Bernd Klippstein sieht da – jedenfalls in seiner Region – auch keine Unterschiede zwischen einheimischen und Migrantenfamilien. Er ist überzeugt - aus Erfahrung und als Christ - dass Staat und Gesellschaft hier in die Bresche springen müssen. Er ist froh über jeden, der sich engagiert. In Betrieben und Projekten, aber auch über die Lehrer, Werkmeister und Beamten in Vollzugsanstalten. Und er hofft auf mehr Menschen und Einrichtungen, die Jugendlichen helfen auf dem Weg, der oft schwer und teuer, aber auch der bessere ist.

Mich ärgert es unwahrscheinlich, dass das Jugendstrafrecht immer als mildes Strafrecht verschrien wird und danach gerufen wird, hier muss das scharfe Erwachsenenstrafrecht her. Erziehung kann viel anstrengender sein als Strafe. Es gibt nicht wenige Jugendliche, die sagen: Ich möchte lieber meinen Arrest absitzen oder meine Strafe absitzen als in eine Erziehungsmaßnahme, weil das anstrengender ist. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3024
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