SWR2 Wort zum Tag

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30JAN2020
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Sonntagmorgen im Krankenhaus. Der Gottesdienst wird durch das Krankenhausradio übertragen. Doch was bekommt der Patient zu hören? Das Lied: „Bis hierher hat mich Gott gebracht, in seiner großen Güte“. Robert Gernhardt, der Dichter und Zeichner, der das als Patient erlebt hat, notierte dazu: „Vielleicht sollte mal jemand dem Chor im Haussender stecken, dass er vor Krankenhausinsassen singt.“ Vor Kranken, die vielleicht an Gottes Güte berechtigte Zweifel hegen. Bis hierher hat sie Gott gebracht. Wirklich? Ein schönes Kirchenlied, aber leider wohl am falschen Ort zur falschen Zeit gesungen. In den Ohren von Robert Gernhardt jedenfalls hörte sich das an wie ein schlechter Witz.

Kann ich als Krankenhausseelsorgerin in der Orthopädie vor einer Gruppe Rollstuhlfahrer die Bibelverse lesen: “Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Muss das nicht zynisch klingen? Wie wenn ich mich lustig machen wollte über die Patienten, für die Laufen ein nicht mehr erfüllbarer Traum bleiben muss?

Der Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit ist seit ein paar Jahren auch in der Kirche zu einem wichtigen Thema geworden. Das Ziel heißt: so reden und schreiben, dass niemand sich ausgeschlossen fühlen soll, dass alle alles mühelos verstehen und diffamierende und diskriminierende Ausdrücke gar nicht mehr vorkommen.

Auf der anderen Seite weiß man vor lauter Bemühen, Fettnäpfe zu vermeiden, manchmal? kaum noch, wie man reden soll. Die Bibel ist nicht in „politisch korrekter“ Sprache geschrieben, die Lieder genauso wenig. Also alles umdichten? Aus den Brüdern Schwestern oder Geschwister machen, auch wenn sich das nicht mehr reimt?

Der protestantische Theologe Daniel Friedrich Schleiermacher war -vor 200 Jahren - der Überzeugung: das Missverstehen ergibt sich von selbst. Das Verstehen dagegen müsse „allezeit gewollt und gesucht werden.“

Und zwar auch von dem, der zuhört. Der Hörer muss sich wirklich auch bemühen, angemessen zu verstehen. Das könnte sogar bei dem Vers gelingen: „Bis hierher hat mich Gott gebracht in seiner großen Güte.“ Man kann ja wirklich dankbar sein, dass es bei uns überhaupt so etwas gibt wie funktionierende Krankenhäuser mit Menschen, die sich bemühen zu heilen und zu helfen. Gut, dass es sie gibt, diese Orte, selbst wenn dort mal die falsche Musik läuft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30238
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