Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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21JAN2020
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Für uns in Deutschland ist es ziemlich normal, dass alles zu jeder Zeit zur Verfügung steht. Obst und Gemüse zu jeder Jahreszeit, zig Sorten Brot, Nudeln, Joghurt, Kaffee, Schokolade, Wurst und Käse, Weine aus der ganzen Welt… Die Regale sind immer gut gefüllt. Strom, Wasser, Heizung. Kein Mangel. Was für eine Fülle!

Ich habe mehr als 4 Monate als Militärseelsorger mit Soldaten in einem Feldlager gelebt und gearbeitet. Da war das alles nicht normal. Ringsum karge Landschaft, wenn man rausgefahren ist, war man mit der ungeheuren Armut der Menschen konfrontiert. Natürlich sind für uns alle grundlegenden Dinge vorhanden gewesen, aber alles irgendwie auf das Notwendige reduziert. Und diejenigen, die regelmäßig ein paar Tage auf Patrouille rausgefahren sind, haben auch darauf verzichtet. Oft sind sie dazu noch in Gefechte geraten und haben ihr Leben riskiert.

Verstörend war für mich nach meiner Rückkehr der erste Besuch im Supermarkt. Mír ist richtig schwindlig geworden, als ich versucht habe, die richtige Gemüsebrühe zu finden und dabei mit den Augen an den Regalen entlanggewandert bin. Dann hat ein Kind hysterisch zu weinen begonnen, weil es kein Eis bekommen hat und ein Mann hat einen anderen angeschimpft, weil der mit seinem Wagen im Weg stand. Da war es aus. Ich habe den Einkaufswagen stehen lassen, habe ganz schnell den Supermarkt verlassen und bin mit leeren Händen nach Hause gefahren.

In diesem Moment, als ich neu mit der Fülle konfrontiert war, hat mich das völlig überfordert. Und ich hatte den Eindruck, dass das schreiende Kind und die streitenden Männer eigentlich auch überfordert gewesen sind.

Heute kann ich gelassener damit umgehen. Ich weiß, wo die Sachen stehen, die ich brauche. Und ich weiß, was gut für mich ist und was nicht. Vor allem aber erinnere ich mich immer wieder neu an einen alten Satz aus der Bibel: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Ich will im Blick behalten, wie dankbar ich sein kann, in dieser Fülle leben zu können. Denn sie ist wirklich nicht selbstverständlich.

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