SWR3 Gedanken

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12JAN2020
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In der Kirche ist es kalt. Wie ungemütlich. Zum Glück sind die Bänke nicht so leer wie sonst. Wir rücken alle etwas näher zusammen, obwohl wir uns nicht kennen. Was die anderen an diesem Morgen wohl hier suchen? Trost, Sinn, Gemeinschaft ...

Aber erst einmal frieren wir alle. Die Heizung ist ausgefallen, erklärt der Pfarrer zu Beginn des Gottesdienstes. Immerhin aber habe man Fleecedecken bereit liegen, da könne man sich gerne bedienen.

Weil man aus den Bankreihen nicht so einfach rauskommt, geht der Kirchendiener während des ersten Lieds durch die Seitengänge und reicht pro Reihe eine Decke durch.

Meine Jacke ist warm, also gebe ich die Decke an meine Nebensitzerin weiter. Die reicht sie der jungen Frau neben sich, und die wiederum bietet sie höflich der alten Frau links von ihr an, die letzte in der Reihe. Ich sehe sie aus den Augenwinkeln den Kopf schütteln und schaue wieder in mein Gesangbuch.

Aber nach der Strophe später spähe ich neugierig wieder rüber, um zu sehen, was jetzt mit der Decke ist.

Ich staune: Die junge und die alte Frau haben die Decke über ihrer beider Beine gebreitet. Jetzt teilen sie also nicht nur die Kirchenbank sondern auch die Wärme dieser Fleecedecke. Den ganzen Gottesdienst bleiben sie so nebeneinander sitzen. Dabei waren sie sich vor diesem Tag noch nie begegnet.

Nach dem Gottesdienst sehe ich sie gemeinsam die Kirche verlassen. Draußen stehen sie noch eine Weile zusammen und reden. Die alte Frau und die junge.

In der Kirche war es kalt. Was für ein Glück!

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