SWR2 Zum Feiertag

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25DEZ2019
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Rittberger-Klas: „Kommet – ihr Hirten, ihr Männer und Frauen“, so heißt es im Weihnachtslied, das in den Stall von Bethlehem einlädt. In evas Stall in Stuttgart haben sich auch in diesem Jahr an Heiligabend wieder rund tausend Menschen einladen lassen. Um miteinander Weihnachten zu feiern – mit allem, was dazugehört: Kaffee und Gebäck, Saitenwürstle und Kartoffelsalat, Krippenspiel und Geschenke. Und einem festlichen Gottesdienst in der Stuttgarter Leonhardskirche. Seit vielen Jahren lädt die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart zu dieser besonderen Weihnachtsfeier ein.

Herr Käpplinger, Sie sind als Vorstandvorsitzender der Evangelischen Gesellschaft nicht nur hauptverantwortlich für evas Stall, sondern Sie waren an Heiligabend auch wieder mittendrin. Was war denn für Sie persönlich der Höhepunkt des Abends?

Käpplinger: Das war der Moment, als unmittelbar vor dem Segen, am Ende des Gottesdienstes, in der Kirche eine konzentrierte Ruhe eingekehrt ist, deren Energie körperlich zu spüren war. Und nach dem Segen hat sich diese Energie im gemeinsamen Singen von O du fröhliche kraftvoll in einem wunderbaren Gemeinschaftserlebnis entladen.

Rittberger-Klas: Das war sicher ein besonderer Moment – wer kommt denn eigentlich in evas Stall und dann nachher auch in die Leonhardskirche, um dort mit ihnen Weihnachten zu feiern? Tausend Menschen, das sind ja viele – wo kommen die alle her?

Käpplinger: Es kommt die ganze Vielfalt zusammen, die gemeinsam unsere Menschheit ausmacht – wobei es schon einen Schwerpunkt gibt: Das sind Menschen, die arm sind, die allein und deshalb oft einsam sind.

Rittberger-Klas: Führt denn Armut zu Einsamkeit?

Käpplinger: Ja, Armut führt deshalb auch zu Einsamkeit, weil arme Menschen nicht unbedingt ausgegrenzt werden, aber sich ausgegrenzt fühlen. Ein kleines Beispiel: Wir laden manchmal Menschen zu uns nach Hause ein – das machen Sie vielleicht genauso wie ich. Wenn ich aber immer derjenige bin, der eingeladen wird, und ich die Gegeneinladung nie aussprechen kann, dann kann es dazu führen, dass ich mich von allein zurückziehe, weil ich mich schäme. Ich kann nichts zurückgeben, dieses Gefühl „ich kann nicht so wie die anderen“, verstärkt zur Armut dazu das Gefühl des Nicht-Dazugehörens – und in der Folge führt das zur Einsamkeit.

Rittberger-Klas: Sind es denn nur arme Menschen – oder sind auch ganz andere Leute dabei, die auch gerne so Weihnachten feiern, in dieser besonderen Weise – oder es auf jeden Fall tun.

Käpplinger: Es gibt ja auch die Armut an Gemeinschaft. Es sind auch Menschen darunter, die alleine leben, deren Geldbeutel vielleicht gar nicht so angespannt ist, aber die niemanden haben, mit dem sie gemeinsam diesen Tag, dieses besondere Fest verbringen können. Und dann suchen sie die Gemeinschaft, die Nähe zu anderen, um zu spüren: Ich bin gar nicht alleine.

Rittberger-Klas: Der christliche Glaube setzt ja in vielen seiner Ausdrucksformen auf Gemeinschaft – das fängt an beim Gottesdienst, ganz besonders, wenn Abendmahl gefeiert wird. Ein symbolisches gemeinsames Essen mit im Zweifelsfall fremden Menschen. Kommunion sagt man in der katholischen Kirche – Gemeinschaft, der Name ist Programm.

Ist das in unserer hochindividualisierten Gesellschaft ein Problem, das wir als Christen und als Kirche so sehr das Gemeinsame betonen, obwohl das vielleicht viele gar nicht mehr wollen: zur selben Zeit dasselbe tun. Oder ist es andersherum gerade heute eine Chance, das zu betonen?

Käpplinger: Ich möchte die Chance betonen. Ich nehme nämlich wahr, dass es viele Menschen gibt – gerade in unserer hochindividualisierten Gesellschaft –, die danach suchen und streben, gemeinsam mit anderen Menschen Dinge zu erleben und zu teilen – und zwar durchaus zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Denken Sie an Events wie Rock am Ring, Großkonzerte in Stadien – oder die wöchentlichen Inszenierungen rund um Fußballspiele. Dort gibt es feste Rituale – da gehört übrigens auch das gemeinsame Singen dazu! Beim Stall erleben unsere Besucherinnen und Besucher genau das: Viele andere kommen so wie ich zusammen. Wir warten gemeinsam auf die Stunde, in der Gott ein Mensch wird, und wir freuen uns darüber, nicht allein, sondern zusammen mit den anderen – und dann macht es viel mehr Spaß.

Rittberger-Klas: Wenn Sie auf die biblische Überlieferung schauen – was ist für Sie die wichtigste Geschichte oder der wichtigste Gedanke, wenn es ums Thema Gemeinschaft geht?

Käpplinger: In unserem Alltag sind es ja meist recht homogene Gruppen, in denen wir zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu erleben oder gemeinsam etwas zu tun. In der Bibel sind es dagegen oft ganz unterschiedliche Menschen, die da zusammengebracht werden – und dadurch entsteht eine ganz andere Form von Gemeinschaft, nämlich die Gemeinschaft der Verschiedenen, die einzig geeint werden durch den Glauben an Gott, den Schöpfer, der in Jesus ein Mensch wird wie wir.

Rittberger-Klas: Haben Sie da eine Geschichte vor Augen, wo das besonders deutlich wird?

Käpplinger: Ja, ich denke da immer an die Erzählung von Zachäus. Von diesem Zöllner, der reich war, aber ausgegrenzt, weil die anderen Menschen ihn mieden – aus durchaus guten Gründen. Und was macht dann Jesus: Er lädt sich zu ihm nach Hause ein an seinen Tisch, er übt Gemeinschaft mit ihm, der draußen war, und holt ich so wieder zurück in die Gemeinschaft. Und dieses Gemeinschaftserlebnis führt ja bei Zachäus dazu, dass er von selber aktiv wird. Da gibt es gar kein „du solltest, du musst mal...“, da gibt es gar keine Forderung an ihn. Er wird aus eigenem Antrieb aktiv und spürt, wie gut es tut, dazu zu gehören.

Rittberger-Klas: Der Gedanke von Gemeinschaft, das steckt ja in der Zachäusgeschichte am Ende doch auch mit drin, hat im christlichen Glauben ja auch noch den anderen, sehr praktischen Aspekt von Helfen und Teilen - der diakonische Gedanke, aus dem heraus auch die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart entstanden ist. Wie erleben Sie es: Ist der diakonische Gedanke heute in der Gesellschaft noch plausibel? Sehen sich Menschen da selbst noch in der Verantwortung für andere, die in Not geraten?

Käpplinger: Ich glaube, der diakonische Gedanke – was bei uns als Motto heißt „Der Dienst am Nächsten“ – der ist nach wie vor nötig, damit Menschen nicht vergessen werden und auch nicht verloren gehen. Es gibt Gott sein Dank immer Menschen, die wissen und wahrnehmen, dass ihr persönliches Wohlergehen auch eine Verantwortung beinhaltet. Und zwar für die Mitmenschen, denen es weniger gut, ja denen es schlecht geht. Manche engagieren sich deshalb ehrenamtlich und bringen ihre Zeit und ihr Know-How ein. Manche ergreifen einen sozialen Beruf und kümmern sich professionell um die Wahrung der Würde des Mitmenschen. Und wieder andere unterstützen Einrichtungen wie die eva, indem sie uns von ihrem Geld abgeben und so unsere Arbeit, diesen „Dienst am Nächsten“, erst möglich machen.

Rittberger-Klas: Nochmal zurück ganz konkret zur Weihnachtsfeier in evas Stall. Was nehmen Sie mit aus diesen Stunden, die sie da gemeinsam mit so unterschiedlichen Menschen verbringen für den Rest des Jahres?

Käpplinger: Im Johannesevangelium heißt es einmal: Der Wind weht, wo er will – damit ist ja der Heilige Geist gemeint, der weht, wo er will. Im Stall, da weht dieser Wind. Da ist es zu spüren und bewirkt, dass Menschen, die sonst oft einsam sind – und sich auch so fühlen – sich getragen fühlen. Wie mit Flügeln unter den Armen, aufgehoben in einer Gemeinschaft, die man nicht anordnen kann, die man nur erleben kann. Und dass, obwohl ihre Probleme, zum Beispiel die Tatsache, dass sie arm sind und dass sie am Rande, teilweise außerhalb unserer Gesellschaft leben müssen, damit nicht beseitigt wird. Ich nehme daraus mit, dass wir täglich für die Würde aller Menschen einzustehen haben. Und ich nehme daraus mit, dass unsere Arbeit – das Gebet und die Tat, also dieser Einsatz im Dienst am Nächsten, sehr sinnvoll ist und bleibt.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30019
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