SWR1 Begegnungen

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22DEZ2019
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Cornelia Coenen-MarxAnnette Bassler trifft Cornelia Coenen-Marx, Pfarrerin, Unternehmerin

Wider die Einsamkeit an Weihnachten

Was braucht die Seele, damit sie heil werden kann? Und was muss Politik und Gesellschaft dafür tun? Das war schon immer ihre Frage- ob als Gemeindepfarrerin, als Leiterin einer diakonischen Einrichtung oder als Oberkirchenrätin der EKD in Hannover. Heute, mit 67 Jahren betreibt sie ihre eigene Agentur „Seele und Sorge“. Wie kommt man heil durch die Weihnachtstage? Ist meine erste Frage an Cornelia Coenen Marx. Und sie erzählt von ihrer großen Verwandtschaft, die sich am ersten Weihnachtstag alljährlich trifft.

Bei den Kleinen sieht man, wie sie wachsen und bei den Älteren sind auch schon welche gegangen. Jetzt sind Schwiegerkinder dabei, die aus der Slowakei kommen und ich merke, wie die europäische Veränderung sich in dieser kleinen Großfamilie niederschlägt

Weihnachten- ein ziemlich aufwendiges Unterfangen ist, allein schon die Anreise.

Es gab schon mal die Idee, ob wir uns nicht besser im Sommer treffen sollen, weil da kein Schnee liegt und die Fahrerei nicht so schlimm und ich hab‘ immer gedacht: wenn wir das anfangen, dann ist es vorbei. Wir brauchen dieses Fest, um uns zu spüren.

Weihnachten als Möglichkeit, einander besser zu spüren. Wenn man es denn kann- bei all dem Stress und der Dünnhäutigkeit. Für manche ist dann die Familie mit den- übers Jahr ungelösten Konflikten zu viel. Oder die Trauer um die abwesende Familie zu groß. Sie fliehen dann lieber aus dem Weihnachtszauber. Weihnachten für die Seele geht aber auch ohne leibliche Familie und ohne Flucht.

Wir hatten in der Kirchengemeinde, wo ich lange war, einen so genannten Gemeindeladen, wo mein Mann und ich an Heiligabend die Leute eingeladen haben, schönes Essen, ein Glas Wein. Das Weihnachtsritual, die gemeinsamen Lieder, die alle haben, die helfen, dass man sich ein bisschen wie Familie fühlt und wenn man ein bisschen erzählt, dann kommt auch was in Gang.

Vielleicht spürt man, dass man sie mit anderen teilen kann- die eigene Bedürftigkeit, die Sehnsucht nach einer besseren Welt und den Glauben, dass wir nicht gottverlassen sind. Dass er mitten unter uns ist, wenn wir singen und beten. Das verbindet auch an einer tiefen Stelle der Seele. Auch wenn man nicht miteinander verwandt ist.
Einsamkeit ist an Weihnachten besonders schmerzlich. Sie ist aber kein privates Problem, meint Cornelia Coenen- Marx. Einsamkeit ist unsere neue Volkskrankheit. Und einen großen Anteil daran hat verfehlte Sozialpolitik.

In Großbritannien gibt es ein Ministerium für Einsamkeit seit 2018. Und das ist superinteressant, weil die sich ganz besonders um Menschen in den Regionen kümmern, wo die Verkehrsmittel nicht fahren, wo die Kneipen geschlossen sind, wo Leute wirklich vereinzeln, weil sie nämlich gar nicht rauskommen, um mit Anderen was zu machen.

Menschen werden krank, wenn sie sich nicht austauschen können, wenn sie zwar versorgt, aber nicht mehr wichtig für andere sind. Unser soziales Leben braucht eine Seele.

Die Seele des Sozialen

Das Soziale braucht nicht nur finanzielle Ausstattung, es braucht auch eine Seele. Meint Cornelia Coenen- Marx. Wenn Sozialarbeit funktionieren soll, braucht es einen besonderen Spirit. Und den hat Cornelia Coenen- Marx entdeckt, als sie sich mit der Geschichte der Diakonissen beschäftigt hat. Warum haben die Diakonissen so lange Zeit die Gemeinden so gut versorgt? Drei Dinge sind da zusammengekommen.

Das ist auf der einen Seite dieses Engagement, dass Leute etwas finden, wo ihr Herz schlägt und die leiden, wenn sie keine Zeit haben, das zu tun. Was heute ja auch passiert. Das zweite ist Gemeinschaft, ich glaube für das Soziale brauchen wir Teams, wir brauchen Austausch, auch mal jemand, der mitträgt und vertritt und so. Und das dritte ist Spiritualität. Zu wissen, dass da was ist, was mich unmittelbar angeht, wo ich auch unvertretbar bin.

Arbeiten, wo das Herzen schlägt, arbeiten im Team, und arbeiten mit der inneren Gewissheit von sowas wie einer Berufung. Das ist es, was Soziale Arbeit beseelt und was Freude schenkt. Aber viele Arbeitsplätze im sozialen Bereich lassen dafür nicht genug Zeit. Umso wichtiger, dass es das Ehrenamt gibt. Wo Menschen mit großer innerer Befriedigung ihrem Herzen folgen und sich in Teams engagieren.

Es gibt eine Kirchengemeinde in Württemberg, die machen einen so genannten Wägelestreff. Das heißt, die treffen sich am oder im Gemeindehaus und von da aus geht man durch die Kleinstadt mit Rollstuhl, Rollator, alles, was die Leute haben und macht gemeinsam in dem Tempo, das die Leute brauchen, einen Spaziergang. Wägelestreff.

Unglaublich, was es in Deutschland da alles gibt rund um die Kirchengemeinden! Schwärmt Cornelia Coenen- Marx. Ob Wägelestreff, Flüchtlingsarbeit oder Trauercafé, im Grunde läuft alles auf eins hinaus: die ganz einfache Begegnung von Mensch zu Mensch. Und genau das hat was mit der Botschaft von Weihnachten zu tun.

Gott wird Mensch- unter Umständen, die wir gar nicht göttlich finden. Wir sagen Stall und Krippe oder Notunterkunft oder auf der Flucht. Da wird Gott Mensch. Und wenn ich jetzt davorstehe, dann sehe ich ja nicht: aha, hier wird Gott Mensch! Sondern dann sehe ich: da liegt ein schreiendes Kind, das braucht Versorgung. Da sind Menschen auf der Flucht, die brauchen Essen und ein Dach über dem Kopf!

Und genau hier etwas zu suchen, was über das Schmerzliche hinausgeht- dazu will Weihnachten verlocken. Weihnachten will meine Augen und mein Herz dazu verlocken, da nicht stehenzubleiben. Weihnachten will sagen: gerade hier und jetzt will Gott mir begegnen.

Indem ich mich auf den Alltag einlasse, also auch auf ein Fest, was ich mal allein feiern muss. Indem ich mich einlasse, steckt in meinem Herzen die Hoffnung, dass ich was entdecken kann von diesem: Gott wird Mensch. Dass er doch in dieser Situation bei mir ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30008
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