SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

17NOV2019
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Coro piccolo
Die Herrlichkeit der Erden muss Rauch und Asche werden. Düstere Worte – passend zum düsteren November mit seinen Feiertagen, die um Schuld, Tod und Trauer kreisen. Memento mori – bedenke, dass du sterben musst – so mahnen die Barockverse, die Andreas Gryphius zur Melodie eines alten Volksliedes gedichtet hat.

Coro piccolo

In den düster wirkenden Versen steckt aber durchaus auch Lebensbejahendes. Eigentlich, so verstehe ich Gryphius, handelt das Lied nämlich weniger vom Sterben als vielmehr vom Leben davor:

Orgel, Max Reger op. 135

Der Ruhm, nach dem wir trachten, den wir unsterblich achten,
ist nur ein falscher Wahn;
sobald der Geist gewichen und dieser Mund erblichen,
fragt keiner, was man hier getan.

Es hilft kein weises Wissen, wir werden hingerissen
ohn einen Unterschied.
Was nützt der Schlösser Menge? Dem hier die Welt zu enge,
dem wird ein enges Grab zu weit.

Worum geht es im Leben eigentlich? Wie soll ich leben, damit ich gut sterben kann? Ruhm, Wissen, reicher Besitz – all das wird im Angesicht des Todes unwichtig. Entscheidend ist dagegen die innere Einstellung zum Leben. Bin ich zufrieden mit dem, was ich bin und habe – egal, was und wieviel es ist? Dem hier die Welt zu enge, dem wird ein enges Grab zu weit. Für mich ist das der stärkste Satz des Liedes. Wer das Leben hier und jetzt gering schätzt, dem wird das Sterben schwer.

Klavierimprovisation

Auf, Herz, wach und bedenke, dass dieser Zeit Geschenke
den Augenblick nur dein.
Was du zuvor genossen, ist als ein Strom verschossen;
was künftig, wessen wird es sein?

Nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft leben, sondern den Augenblick wahrnehmen und wertschätzen: das ist die Kunst des Lebens, die auch beim Sterben hilft. Weil sie uns mit dem verbindet, der Leben und Sterben in der Hand hält. Oder, um es mit einem anderen Vers von Andreas Gryphius zu sagen:

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;
mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen;
der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,
so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht.

Ihm zu vertrauen – darin findet auch Gryphius Halt. Wohl dem, der auf ihn trauet – so heißt es in der letzten Strophe des Liedes:

Coro piccolo

 --------------------

Musikangaben:

Coro piccolo, Strophe 1, M0472059-016
Coro piccolo, Strophe 2 (Text Strophe 7), M0472059-016
Orgel, Max Reger op. 135, Archivnummer M0012581(AMS),
Klavierimprovisation M0472059-002
Coro piccolo, Strophe 3, (Text Strophe 10) M0472059-016

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29792
weiterlesen...