SWR2 Wort zum Tag

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04NOV2019
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30 Jahre Mauerfall – lang ist das her. Doch meine Reisen in die DDR vor dem Mauerfall sind mir nah und frisch in Erinnerung. Warum eigentlich? 

Bei Besuchen in der DDR – bei Verwandten in Köthen, bei Studierenden in Berlin – sind mir so warmherzige Menschen begegnet.
Ganz ohne Karrierespleen. Geld und seine Vermehrung war nicht ihr Thema. Gespräche ohne Filter - mit Tiefgang: Über Liebe, Tränen und Ängste, über Kunst und Politik.

Doch schon im nächsten Moment konnte diese Vertrautheit wie weggewischt sein.

Ich erinnere mich: in der Disko hat jemand meinen Cousin angesprochen: Er wisse, wie er nach Finnland kommen und wie er ihm dabei helfen könne. Ein Spitzel?

Wie wurden Schüler von ihren Eltern gedrillt, damit sie auf die Frage in der Schule, was sie denn am Wochenende alles im Fernsehen geschaut haben, ja nicht von West-Fernsehsendungen erzählten. ((Die Schere im Kopf – von klein auf.)) 

Neben brutaler Gewalt gegen Andersdenkende, die es auch gegeben hat, sind das eher harmlose Beispiele. Doch perfide Überwachung im Alltag schüchtert ein - zerfrisst gegenseitiges Vertrauen – erstickt das freie Wort.

In einer Diktatur den Mund aufmachen für Freiheit und Menschenrechte - dazu gehört Mut.
Viele sind dafür aufgestanden – vor 30 Jahren – und haben die SED-Diktatur in der DDR überwunden. Überall waren kirchliche Gruppen dabei. Sie haben sich von ihren Ängsten – die sie auch gehabt haben – nicht abhalten lassen.
Mit Gottes-Zusage im Ohr und im Herzen – „Fürchte Dich nicht, ICH bin bei Dir!“ – sind sie auf die Straße gegangen. Zuerst zaghaft und dann immer mutiger.
So brachen in Leipzig Abertausende nach dem Friedensgebet von der Nikolaikirche zu den Montagsdemonstrationen auf. In Berlin war die Zionskirche - in der Dietrich Bonhoeffer einst Pfarrer war – ein Ort, wo mit Mahnwachen auf Menschenrechtsverletzungen hingewiesen wurde. 

„Wo der Geist des HERRn ist, da ist Freiheit!“, hat der Apostel Paulus einmal geschrieben. Mir scheint, dieser „Geist der Freiheit“ war vor dreißig Jahren mächtig wirksam und hat dabei geholfen, eine Diktatur gewaltfrei zu überwinden.

Bei allen Schwierigkeiten, die bis heute immer wieder das Zusammenwachsen von Ost und West erschweren: diesen Freiheitsgewinn klein zu reden, heißt /hieße, die Qualen einer Diktatur zu verharmlosen. 

Rede-, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit – ohne Zensur Lesen und Schreiben können, was ich mag – das sind ganz elementare Fundamente eines freiheitlichen Miteinanders. Für mich sind diese Freiheiten seelische Grundnahrungsmittel. Erkämpft vor 30 Jahren und nun zu haben - in Ost und West.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29693
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