SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

27OKT2019
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In dieser Jahreszeit ist das Wartezimmer bei meinem Arzt wieder gut gefüllt. Ich will mich demnächst gegen Grippe impfen lassen. Und ich weiß jetzt schon: Bevor ich ins Sprechzimmer kann, werde ich im Wartezimmer Platz nehmen. Wenn da noch ein Stuhl frei ist. Das ist jetzt im Herbst einfach voll. Von Menschen, die gesund werden wollen. Oder gar nicht erst krank, so wie ich.

Wenn ich an dieses volle Wartezimmer denke, dann fällt mir eine Geschichte aus der Bibel ein. Ich erzähle sie Ihnen mal: Da ist Jesus an einem Teich vorbeigekommen, von dem alle gesagt haben: Wenn das Wasser im Teich sich bewegt, und du schaffst es als Erster hinein, dann wirst du gesund! Fünf große Hallen hat man um diesen Teich herum gebaut. Und da war es noch viel voller als bei meinem Arzt im Wartezimmer. Unzählige Kranke haben in den Hallen gelegen. Blinde, Gelähmte, bis auf die Knochen Abgemagerte. Einer hat schon seit 38 Jahren da gelegen. Er konnte nicht selbst zum Wasser laufen. Und bis ihn jemand hingetragen hat, ist längst ein anderer vor ihm hineingestiegen. Er hatte einfach keine Chance! Und jetzt fragt Jesus ihn: Willst du gesund werden?

Das könnte ich ja mal die anderen im Wartezimmer fragen! Wollen Sie gesund werden? Ich stelle mir vor, wie die mich angucken würden! Vielleicht nicht gerade die intelligenteste Frage bei einem Arzt im Wartezimmer!

Aber Jesus hat das den Kranken gefragt. Willst du gesund werden? Der Mann antwortet nicht direkt. Er erzählt, warum das einfach nicht geht. Warum er hier keine Chance hat.

Wir erfahren nicht, wie alt der Mann war. Nur, dass er da seit 38 Jahren liegt. Also war er mindestens so lange krank. Aber nicht seit seiner Geburt. Er ist wohl erst irgendwann krank geworden. Wahrscheinlich hat er dann erst mal einiges ausprobiert. Und dann war dieser Teich die letzte Rettung. Der Mann war nicht mehr jung. Den größten Teil seines Lebens hat er hier gelegen und gewartet, dass er gesund wird. Und jetzt diese komische Frage. Was könnte es denn Wichtigeres für ihn geben?

Hauptsache, gesund! Den Satz höre ich ganz oft. Aber als Jesus den Kranken gefragt hat: Willst du gesund werden? Da antwortet der nicht einfach: Ja! Sondern er erzählt: Ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt.
Ich habe keinen Menschen. Ich bin allein. Ich bin ausgeschlossen.

Ich glaube, das ist das Entscheidende. Hauptsache, gesund! – das sagt jemand, der nicht krank ist. Aber wenn jemand schon lange krank ist, dann ist vielleicht etwas anderes die Hauptsache für ihn: Ich möchte nicht ausgeschlossen sein. Ich möchte nicht abgehängt werden. Ich möchte nicht mit meiner Krankheit alleingelassen werden.

Jesus hat diesem Kranken geholfen. Er hat zu ihm gesagt: Steh auf, nimm deine Liege und geh! Und – unglaublich! – die Bibel erzählt, wie der Gelähmte genau das jetzt auf einmal kann. Wie er einfach aufsteht und mit seiner Liege fortgeht. Nicht mehr krank.

Jetzt war er nicht mehr ausgeschlossen. Jetzt hat er wieder dazu gehört. Aber da hat er plötzlich ein ganz anderes Problem gekriegt. Es war nämlich gerade Sabbat. Der Tag in der Woche, der für Gott und die Menschen da ist, nicht für die Arbeit. Die Menschen damals in Israel, die haben den Sabbat sogar noch strenger gehalten als wir früher den Sonntag. Da durfte man gar nichts arbeiten. Sonst würde der Ruhetag ja ein Tag wie jeder andere.

Als damals die Leute den Mann gesehen haben, wie er seine Liege herumtrug, da haben sie deshalb sofort gesagt: Das darfst du heute nicht!

Nach ihren Regeln hatten sie natürlich Recht. Aber ich glaube, sie haben nicht verstanden, wozu der Sabbat da ist. So wie wir heute nicht verstehen, wozu der Sonntag gut ist. Viele denken, da soll man bloß bestimmte Regeln einhalten. Nichts arbeiten zum Beispiel, dafür in die Kirche gehen. Und weil sie das nicht verstehen, halten viele das für überflüssig. Dann halten sie oft auch gleich den ganzen Sonntag für überflüssig. Und arbeiten trotzdem und ärgern sich, weil sie nicht einkaufen können.

Für mich ist der Sonntag was ganz anderes. Am Sonntag kann ich besonders erleben, wie ich mit Gott verbunden bin. Da stört ja sonst nichts. Und wie ich mit anderen Menschen verbunden bin. Nicht ausgeschlossen, nicht abgehängt, nicht alleingelassen. Das ist die Hauptsache. Der Sonntag ist der Tag der Verbindung und der Gemeinschaft. Genau wie der Sabbat.

Die Bibel kennt dafür ein Wort, das ist noch mehr als gesund: heil. Ein Mensch, der heil ist, dem fehlt nichts. Der ist fest mit den anderen und mit Gott verbunden. Der Sabbat, der Sonntag: das sind Tage zum Heilwerden.

Es gibt Menschen, die können nicht mehr gesund werden. Ich denke jetzt an Menschen, bei denen ich das weiß. Und an andere, bei denen ich noch bange und hoffe. Aber wir können alle heil werden. Diese Verbundenheit spüren. Ich glaube, dafür brauchen wir alle den Sonntag – die Kranken und die Gesunden.
Und darum wünsche ich Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29629
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