SWR4 Abendgedanken

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17OKT2019
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In vielen Kirchen hängt vorne eine Jesusfigur am Kreuz. Mit Nägel und Dornenkrone. Schmerzen und Leid – daran denke ich sofort. Warum nur haben die Menschen dieses Bild an so vielen Orten aufgehängt?

Wer das verstehen will, der kann sich zum Beispiel an Heinrich Seuse wenden. Heute kennen ihn nur wenige, aber vor 700 Jahren war Heinrich Seuse ein bekannter Mann in Europa: Er hat einige Bestseller über die christliche Spiritualität geschrieben. Gelebt hat er die meiste Zeit in Konstanz am Bodensee.

In seinen Büchern greift Seuse häufig dieses Bild auf: Jesus leidet am Kreuz. Im späten Mittelalter wütet die Pest in Europa, viele Krankheiten können nicht behandelt werden. Diese ständige Angst vor einem plötzlichen Tod, vor Schmerzen und Leid. Im Glauben suchen die Menschen eine Antwort.

Seuse sagt den Menschen: Habt keine Angst vor dem Schmerz. Im Gegenteil: Wenn ihr leidet, geht es Euch wie Jesus am Kreuz. Eure Schmerzen bringen Euch näher zu Gott. Das klingt für meine Ohren sehr provozierend. Im Mittelalter haben manche Menschen sich sogar selbst verletzt, weil sie gemeint haben, sie verbinden sich so mit Gott. Das ist doch verrückt. Ich meine, Gott will, dass wir gut leben, gesund und glücklich! Und ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum ich Gott näher sein soll, wenn ich Schmerzen habe.

Das Mittelalter liegt heute weit hinter uns. Wenn ich an Gott denke, fallen mir viele fröhliche Bilder ein: Bilder von Glück und Lebensfreude. Und doch will ich auf das Kreuz als Symbol nicht verzichten. Es kann mir die Angst davor nehmen, krank zu werden und zu leiden. Zwar wünsche ich mir gesund und fit zu bleiben, doch das gelingt eben nicht immer. Da sagt mir Seuse: Auch in diesen schwierigen Momenten ist Gott bei Dir. Was Du jetzt fühlst, hat Jesus auch durchlebt.

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