Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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28SEP2019
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Die Tür steht Tag und Nacht offen. Obwohl sie das nicht will. Die alte Dame hätte gerne ihre Ruhe und mehr Privatsphäre. Sie hat das Pflegepersonal oft darum gebeten, die Tür doch zuzumachen. Es hat nichts genützt. Sie ist für vier Wochen zur Kurzzeitpflege in einem Seniorenheim.

Ich habe sie dort besucht. Bisher habe ich das Wort Pflegenotstand nur vom Hören-sagen gekannt. Jetzt erlebe ich, was das heißt. Tatsächlich stehen viele Türen offen, und ich höre aus manchen Zimmern, wie jemand leise weint oder stöhnt. Andere sitzen im Rollstuhl auf dem Flur und starren vor sich hin. Auf der Station für demente alte Menschen schreit einer von ihnen ständig „Hallo“.

Ich bin schon nach vier Stunden froh, dass ich wieder gehen kann. Obwohl ich auch erlebt habe, wie sich alle Mitarbeiterinnen anstrengen. Sie sind freundlich und wollen, dass es den alten Menschen so gut wie möglich geht. Dieses Pflegeheim will ein gutes Heim sein. Schöne Bilder hängen an der Wand. Es gibt tolle Beschäftigungsangebote und überall Polstermöbel auf den Fluren, die dazu einladen, sich niederzulassen. 

Die alte Dame, die ich besuche, braucht jedoch vor allem eines: Zuwendung. Sie braucht jemanden, der mit ihr spricht, dem sie von ihrem Leben erzählen kann. Jemanden, der Geduld hat, während sie sich wäscht und anzieht. Der aushält, wenn sie weint. Wenn sie traurig ist, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben keine Knödel mehr kochen kann. Sie braucht jemanden, der Zeit hat. Aber wer sollte das in einem Pflegeheim leisten können bei so vielen Menschen? Auch Angehörige sind damit bisweilen überfordert. Da zeigt sich dann, wie wichtig Freunde und Bekannte sind oder auch Nachbarn, die sich gerne Zeit nehmen und einfach da sind. Es gibt inzwischen deshalb auch Pflegedienste, die genau darauf achten: dass sie ausreichend Zeit haben für Zuwendung. Ich habe einen Artikel entdeckt über ein Konzept aus den Niederlanden, nach dem inzwischen auch Pflegedienste in Deutschland arbeiten. „Buurtzorg“ heißt es und bedeutet so viel wie Nachbarschaftshilfe. Alte Menschen werden in ihrem Zuhause gepflegt. Sie werden unterstützt, dass sie auch als alte Menschen ihr Leben selbst achten und wertschätzen. Dass sie ihre Stärken noch zeigen und tun, was sie selbst weiterhin können. Ich finde, genau darauf kommt es an. Dass Menschen am Ende ihres Lebens ihren Wert und ihre Würde fühlen können trotz allem, was sie einschränkt und was sie nicht mehr können.

 

Quelle:

http://www.buurtzorg-in-deutschland.org

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29449
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