Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16SEP2019
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Jetzt ist es soweit. Meine Kinder haben mich im Sport überholt. Mit meinem 16-jährigen Sohn bin ich im Urlaub im Meer um die Wette geschwommen und nicht mehr hinterhergekommen. Und meine 20-jährige Tochter hat vor kurzem das Joggen angefangen und ist jetzt schon fitter als ich, obwohl ich regelmäßig Laufen gehe.

 

Mein Alter macht sich zunehmend bemerkbar: Die Kochen tun weh, das Gedächtnis streikt ab und zu. Und eine Gleitsichtbrille muss auch her, wenn ich abends im Bett noch lesen will.

Das alles ist nicht dramatisch, aber es zeigt mir: Ich habe meinen Zenit überschritten. Und gleichzeitig starten meine Kinder voll durch, nicht nur sportlich, sondern überhaupt ins Leben. Irgendwie habe ich das Gefühl: Ich werde vom Hauptdarsteller zum Nebendarsteller.

Aber da bin ich nicht der Erste. Offenbar war das schon immer so. Auch in der Bibel: Zum Beispiel in den Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob und Josef und ihren Frauen. Wenn man diese Vier-Generationen-Familiensage liest, fällt auf: Die Hauptdarsteller wechseln. Da wird beispielsweise ausführlich von Jakob erzählt und dem, was er alles erlebt hat. Nur in einem Nebensatz wird erwähnt, dass er einen Sohn namens Josef hat. Aber dann schwenkt sozusagen die Kamera und nimmt Josef in den Fokus: „Josef war siebzehn Jahre alt und hütete mit seinen Brüdern die Schafe“. Ab diesem Satz ist Josef die Hauptperson. Jakob kommt zwar noch vor, aber eben nur noch als Nebendarsteller. Die Geschichte ist jetzt Josefs Geschichte.

Und das völlig zu recht. Denn so viele spannende Sachen passieren nicht mehr bei Jakob. Es ist ruhiger geworden in seinem Leben. Dagegen hat der 17-jährige Josef noch alles vor sich.

So ist das auch mit meinen Kindern: Schulabschluss, Auszug von zuhause, Ausbildung und was da noch kommen wird in den nächsten Jahren – das sind doch die spannenden Dinge. Mein Leben ist dagegen vergleichsweise langweilig.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kann ich mich anfreunden mit diesem Rollenwechsel vom Haupt- zum Nebendarsteller. Schließlich habe ich diese ereignisreichen Zeiten ja auch gehabt. Es war schön. Aber Vieles davon wäre mir heute zu anstrengend und zu aufregend.

Und außerdem kann ich aus der zweiten Reihe viel besser beobachten. Es macht mir nämlich Spaß, meinen Kindern beim Durchstarten ins Leben zuzusehen – wenn auch in Zukunft durch die Gleitsichtbrille.

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